Die
Rosenkreuzer-Weltanschauung

von Max Heindel




Die chemische Region der physischen Welt

   Nach den Lehren der Rosenkreuzer zerfällt das Weltall in sieben verschiedene Welten oder Zustände der Materie, wie folgt:

    1.Die Welt Gottes
    2.Die Welt der jungfräulichen Geister
    3.Die Welt des göttlichen Geistes
    4.Die Welt des Lebensgeistes
    5.Die Gedankenwelt
    6.Die Empfindungswelt
    7.Die physische Welt

   Diese Einteilung ist nicht willkürlich, sondern notwendig. Denn der Grundstoff jeder dieser Welten unterliegt Gesetzen, die in den anderen Welten wirkungslos sind. So untersteht zum Beispiel in der physischen Welt die Materie dem Gesetz der Schwerkraft, der Zusammenziehung und Ausdehnung. In der Empfindungswelt gibt es weder Hitze noch Kälte, die Körper schweben so leicht in die Höhe, wie sie nieder- steigen. Auch Raum und Zeit, die in der physischen Welt bestehen, verlieren in der Empfindungswelt beinahe allen Einfluß.

   Die Materie dieser Welt variiert auch in den Graden ihrer Dichtigkeit. Die physische Welt ist unter allen sieben die dichteste.

   Jede Welt teilt sich wieder in sieben Regionen oder Unter- abteilungen. In der physischen Welt bilden die festen Körper,

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Flüssigkeiten und Gase, die drei dichteren Unterabteilungen, die restlichen vier sind Äther verschiedener Dichte. In anderen Welten sind ähnliche Unterabteilungen notwendig. Denn auch die Materie, aus der sie bestehen, ist nicht von gleicher Dichte.

   Man muß noch zwei weitere Unterscheidungen machen. Die drei dichteren Unterabteilungen der physischen Welt, die festen Körper, Flüssigkeiten und Gase bilden die sogenannte chemische Region. Die Substanz dieser Region ist die Grundlage jeder festen Form.

   Auch der Äther ist physischer Stoff. Er ist nicht durchweg gleich, homogen, wie die materielle Wissenschaft annimmt, sondern besteht in vier verschiedenen Zuständen. Er ist das Medium für den bewegenden Geist, der allen Körpern der chemischen Region Lebenskraft verleiht. Die vier feineren oder ätherischen Unterabteilungen bilden das, was unter dem Namen Ätherregion bekannt ist.

   In der Gedankenwelt sind die drei höheren Unterabtei- lungen die Basis der abstrakten Gedanken, sie werden daher mit einem gemeinsamen Namen die Region der abstrakten Gedanken genannt. Die vier dichteren Unterabteilungen liefern den Gedankenstoff, in welchem wir unsere Ideen verkörpern und konkret werden lassen; wir nennen diese vier Unterabteilungen daher die Region der konkreten Gedanken.

   Die sorgfältige Betrachtung, die der Okkultist den Erschei- nungen der physischen Welt widmet, schiene überflüssig, wenn nicht der Standpunkt, von dem aus er sie betrachtet, sich ungemein vom dem des Materialisten unterscheiden würde. Letzterer erkennt drei Zustände der Materie: den festen, den flüssigen und den gasförmigen. Sie alle sind chemisch, da sie aus den chemischen Bestandteilen der Erde bestehen. Aus dieser chemischen Materie sind alle Formen der Mineralien, Pflanzen und Tiere aufgebaut, daher sind diese ebenso chemisch wie die Substanzen, welche man all- gemein so nennt.

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   Betrachten wir den Berg oder die Wolke, die seinen Gipfel umhüllt, den Saft der Pflanze oder das Blut des Tieres, den Spinnenfaden, den Flügel des Schmetterlings oder die Knochen des Elefanten, die Luft, die wir atmen oder das Wasser, das wir trinken - sie alle bestehen aus denselben chemischen Grundstoffen.

   Nun fragen wir uns: was ist es, das diese Grundsubstanz zu den unendlichen Verschiedenheiten der Formen bestimmt, die wir um uns sehen? Es ist der eine Universalgeist, der sich in der sichtbaren Welt als vier große Lebensströme in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung äußert. Dieser vierfache geistige Impuls formt die chemische Materie der Erde in die abwechslungsreichen Formen der vier Reiche - des Mineralreiches, des Pflanzenreiches, des Tierreiches und des Menschen.

   Wenn eine Form ihren Zweck als Ausdrucksträger für die drei höheren Lebensströme erfüllt hat, lösen die chemischen Kräfte diese Form auf, damit seine Bestandteile zum Aufbau neuer Lebensformen verwendet werden können. Der Geist oder das Leben, das den Stoff zu einem Ausdruck seiner selbst formt, ist daher der Materie ebenso fremd wie ein Zimmermann verschieden und persönlich unabhängig von dem Haus ist, das er sich zu seinen Wohnzwecken erbaut hat.

   Da nun aber alle Mineral-, Pflanzen-, Tier- und Menschen- körper chemisch sind, müssen sie logischerweise ebenso tot und gefühllos sein, wie die chemische Masse in ihrem Urzustand, und der Rosenkreuzer behauptet, daß sie es sind.

   Einige Wissenschaftler behaupten, daß jedes Gewebe, ob lebend oder tot, welchem Reich auch immer es angehört, Gefühl hat. Sie schließen selbst die Mineralien in ihre Kategorie der empfindenden Dinge ein und bringen als Beweismittel in ihrem Streit Diagramme von Kraftkurven, die sie durch Untersuchungen erhielten. Eine andere Gruppe von Forschern lehrt, daß außer dem Gehirn - dem Sitz des Gefühls - nicht einmal der menschliche Körper Empfindung

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besitze. Sie behaupten, es sei das Gehirn und nicht der verletzte Finger, der den Schmerz "fühlt". So spaltet sich das Gebäude der Wissenschaft in sich selbst, wie in diesem so auch in den meisten anderen Punkten. Jeder hat teilweise recht. Alles hängt davon ab, was wir unter Fühlen verstehen.

   Wenn wir nur die Erwiderung auf einen Anstoß verstehen, etwa so, wie der Rücksprung eines aufgeworfenen Gummi- balls von der Erde, so ist es gewiß richtig, sowohl minerali- schem, pflanzlichem als auch Tiergewebe Gefühl zuzuspre- chen. Aber wenn wir Vergnügen und Schmerz, Liebe und Haß, Freude und Kummer meinen, wäre es widersinnig, die niederen Lebensformen damit begaben zu wollen, wie z.B. abgetrenntes Gewebe oder Mineralien in ihrem Urzustand oder selbst das Gehirn. Denn solche Gefühle sind nur der Ausdruck des selbstbewußten unsterblichen Geistes, und das Gehirn ist nur die Tastatur des wunderbaren Instruments, auf dem der menschliche Geist seine Lebenssymphonie spielt, so wie der Musiker sich auf der Violine ausdrückt.

   Gleich wie manchen Menschen das Verständnis des Beste- hens höherer Welten vollständig verschlossen ist, so gibt es auch andere, die es sich nach der geringsten Fühlungnahme mit den höheren Welten zur Gewohnheit machen, unsere physische Welt zu unterschätzen. Diese Haltung ist genauso unkorrekt wie die des Materialisten. Die großen und weisen Wesen, die berufen sind, den Willen und die Absicht Gottes zu erfüllen, setzen uns in diese irdische Umgebung, damit wir große und wichtige Lehren lernen, die wir uns unter keinen anderen Umständen aneignen könnten. Es ist unsere Pflicht, unsere Kenntnisse von den höheren Welten nach unseren besten Kräften anzuwenden, um uns jene Lehren, die uns diese materielle Welt bietet, im höchsten Maß aneignen zu können.

   In gewissem Sinn ist die physische Welt eine Art Vor- schule oder Experimentierstation, damit wir lernen, in den anderen Welten richtig zu arbeiten. Diese Lehren werden uns zuteil, ob wir von der Existenz der anderen Welten wissen

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oder nicht; ein Beweis für die große Weisheit der Schöpfer, die diesen Plan entworfen haben. Hätten wir keine anderen Erkenntnisse, als jene über die höheren Welten, so begingen wir viele Fehler. Sie würden erst dann sichtbar werden, wenn irdische Verhältnisse als Maßstab geschaffen wären. Folgen- des zur Erläuterung:

   Stellen wir uns einen Erfinder vor, der seine Idee zu einer Maschine ausarbeitet. Erst erbaut er seine Maschine in Gedanken. In seinem Intellekt sieht er sie bereits fertig, und die Arbeit, für welche sie konstruiert wurde, ganz ausge- zeichnet verrichtend. Nun macht er eine Zeichnung des Entwurfes und findet dabei vielleicht, daß Abänderungen seines Gedankenplanes notwendig sind. Wenn er dann durch die Zeichnung von der Ausführbarkeit seines Planes über- zeugt wurde, geht er daran, die Maschine aus passendem Material herzustellen.

   Es ist fast gewiß, daß noch weitere Abänderungen nötig sein werden, ehe die Maschine wie beabsichtigt arbeiten kann. Vielleicht muß sie ganz umgeformt werden; oder sie ist überhaupt unbenutzbar, so daß sie weggeworfen werden muß und ein ganz neuer Plan auszuarbeiten ist. Nun ist folgendes festzuhalten, denn das ist der springende Punkt: Der neue Plan wird zu dem Zweck ausgearbeitet, die Fehler der nutzlosen Maschine auszumerzen. Ohne die Herstellung der Maschine aus Material, wodurch die Fehler des ersten Entwurfes offenbar wurden, wäre nie eine zweite, richtige Idee entstanden.

   Das läßt sich ebenso auf alle anderen Lebensgebiete anwenden: auf gesellschaftliche, wirtschaftliche, wie auch auf menschenfreundliche (altruistische). Viele Pläne er- scheinen ihren Erfindern ausgezeichnet und können sogar auf dem Papier gut aussehen, versagen aber, sobald man sie ver- wirklichen will. Dies darf uns nicht entmutigen. Denn es ist wahr, daß wir "aus unseren Fehlern mehr lernen als aus unseren Erfolgen". Der richtige Standpunkt ist, unsere physische Welt als eine Schule wertvoller Erfahrungen zu betrachten, in welcher wir Lehren von größter Wichtigkeit zu lernen haben.

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Die Ätherregion der physischen Welt

   Sobald wir dieses Reich der Natur betreten, sind wir in der unsichtbaren, immateriellen Welt. Hier verlassen uns unsere gewöhnlichen Sinne, darum ist dieser Teil der physischen Welt der materialistischen Wissenschaft durch Versuche nicht zu erschließen.

   Die Luft ist unsichtbar, und doch weiß die moderne Wissenschaft, daß sie vorhanden ist. Ihre Bewegung als Wind kann durch Instrumente gemessen werden. Durch Druck kann sie uns als Flüssigkeit sichtbar gemacht werden, Äther jedoch ist nicht so leicht faßbar. Die materialistische Wissenschaft stützt sich auf ihn, um die Übertragung der Elektrizität mit oder ohne Draht zu erklären. Sie muß notgedrungen einen Stoff annehmen, der feiner ist als die bekannten, und sie nennt diesen Stoff Äther. Sie weiß tatsächlich nicht, daß der Äther besteht, denn kein Genie eines Erfinders hat bisher vermocht, ein Gefäß zu entwerfen, in dem er diesen Stoff einschließen könnte, der zu schlau für den "Hexenmeister des Laboratoriums" ist. Er kann ihn weder messen noch wägen, noch in irgendeiner Weise analysieren, denn kein Apparat steht ihm gegenwärtig dazu zur Verfügung.

   Wahrlich, die Errungenschaften der modernen Wissenschaft sind bewundernswert. Aber der beste Weg, der Natur ihre Geheimnisse abzuringen, ist nicht der, Instrumente zu erfinden, sondern den Forscher selbst zu fördern. Der Mensch hat Kräfte in sich, welche die Entfernung ausschalten und durch welche die Winzigkeit der Gegenstände kein Hindernis zu deren Erforschung ist. Sie übertreffen Teleskop und Mikroskop unendlich mehr als diese das freie

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Auge. Diese Sinne oder Fähigkeiten sind die Forschungsmittel des Okkultisten. Sie sind sein "Sesam öffne dich" auf der Suche nach Wahrheit.

   Der geschulte Hellseher kann den Äther ebenso ertasten, wie die Allgemeinheit der Menschen die festen, flüssigen und gasförmigen Stoffe der chemischen Region. Er sieht, daß die Lebenskräfte, die den mineralischen Körpern der Pflanzen, Tiere und Menschen Leben verleihen, in diese Formen mit Hilfe der vier Ätherzustände fluten. Die Namen und besonderen Funktionen dieser vier Ätherarten sind folgende:

   1. Der chemische Äther: Dieser Äther ist in seiner Manifestation sowohl positiv als auch negativ. Die Kräfte, welche die Stoffaufnahme (Assimilation) und Stoffausscheidung (Exkretion) verursachen, wirken durch ihn. Die Aufnahme ist der Vorgang, durch den die verschiedenen ernährenden Elemente der Nahrung dem Körper der Pflanzen, Tiere und Menschen einverleibt werden. Dies geht durch Kräfte vor sich, die wir später noch kennenlernen werden. Sie wirken längs des positiven Pols des chemischen Äthers und ziehen die notwendigen Elemente an, um sie in die betreffenden Formen zu bringen. Diese Kräfte arbeiten weder blind noch mechanisch, sondern nach wohldurchdachter Wahl, die der Wissenschaftler gut aus ihren Wirkungen kennt, und erfüllen damit ihren Zweck, den Körper aufzubauen und zu erhalten.

   Die Ausscheidung geht durch Kräfte derselben Art vor sich, diese aber arbeiten längs des negativen Pols des chemischen Äthers. Mit Hilfe dieses Pols scheiden sie aus dem Körper aus, was zu seinem Gebrauch untauglich ist. So auch ausgediente Bestandteile der Nahrung, welche die Zeit ihrer Nutzbarkeit im Körper überlebt haben und nun entfernt werden müssen. Auch dieser Vorgang ist - wie alle anderen, die nicht vom menschlichen Willen abhängig sind - weise; er arbeitet nach genauer Wahl und auf keinen Fall mecha- nisch. Die Nieren zum Beispiel filtrieren den Urin nur dann, wenn diese Organe gesund sind; sind sie jedoch erkrankt, so lassen sie das wertvolle Eiweiß mit dem Urin entweichen

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und treffen die richtige Auslese nicht, weil sie in einem anomalen Zustand sind.

   2. Lebensäther: So wie der chemische Äther die Bahn ist, in der die formerhaltenden Kräfte wirksam werden, so ist der Lebensäther die Bahn für die Tätigkeit der arterhaltenden Kräfte - für die Kräfte der Fortpflanzung.

   Auch der Lebensäther hat - wie der chemische Äther - seinen positiven und negativen Pol. Die Kräfte, die entlang des positiven Pols wirken, sind jene, die in der Frau während der Schwangerschaft tätig sind. Sie ermöglichen ihr die positive, aktive Arbeit des Hervorbringens eines neuen Wesens. Andererseits ermöglichen die Kräfte, die entlang des negativen Pols des Lebensäthers wirken, dem Mann Samen hervorzubringen.

   Die Kräfte, die längs des positiven Pols im befruchteten menschlichen oder tierischen Ei oder im Samen der Pflanzen wirksam sind, bringen männliche Individuen - Tiere oder Pflanzen - hervor; die Kräfte hingegen, die sich längs des negativen Pols äußern, erzeugen weibliche.

   3. Lichtäther: Dieser Äther ist ebenfalls sowohl positiv wie negativ. Die Kräfte, die längs des positiven Pols arbeiten, erzeugen in den höher organisierten Tierarten und im Menschen die Blutwärme, die sie zu individuellen Wärme- quellen macht. Die Kräfte längs des negativen Pols des Lichtäthers wirken durch die Sinne und äußern sich als passive Funktionen des Sehens, Hörens, Tastens, Schme- kens und Riechens. Sie erbauen und ernähren auch das Auge.

   Bei den Tieren mit kaltem Blut ist der positive Pol des Lichtäthers die Bahn der blutantreibenden Kräfte, und die negativen Kräfte haben dieselbe Aufgabe bezüglich des Auges wie bei den höheren Tieren und den Menschen. Wo Augen fehlen, erbauen oder ernähren die im negativen Pol arbeitenden Ätherkräfte wahrscheinlich andere Sinnesorgane, ernähren sie wenigstens, wie sie es bei allen Wesen tun, die Sinnesorgane haben.

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   Bei Pflanzen rufen die Kräfte, die längs des positiven Pols des Lichtäthers arbeiten, den Umlauf der Säfte hervor. Daher hört im Winter - wenn der Lichtäther nicht so sehr mit Sonnenlicht beladen ist, wie im Sommer - der Saft zu fließen auf, bis die Sommersonne den Lichtäther wieder mit ihrer Kraft versieht.

   Die Kräfte längs des negativen Pols setzen das Chlorophyll ab und färben auch die Blumen. Alle Farbe in allen Reichen der Natur wird durch Vermittlung des negativen Pols des Lichtäthers verliehen. Darum haben Tiere die tiefste Farbe auf dem Rücken, und Pflanzen sind auf der dem Licht zugewandten Seite am sattesten gefärbt. In den Polarregionen der Erde, in denen die Sonnenstrahlen an Lichtkraft ab- nehmen, werden alle Farben lichter und sind in manchen Fällen so dürftig verteilt, daß sie im Winter völlig ver- schwinden und die Tiere weiß werden.

   4. Rückstrahlender Äther: Weiter oben haben wir gesagt, daß die Idee vom Haus, die im Intellekt existiert hat, wieder im Gedächtnis der Natur aufgefunden werden kann, sogar nach dem Tod des Architekten. Alles, was sich jemals ereignete, läßt im rückstrahlenden Äther ein unauslöschliches Bild zurück. Die Riesenfarnkräuter aus der Urzeit der Erde haben ihr Bild in den Kohlenlagern zurückgelassen, die Bewegungen der Gletscher in vergangenen Tagen können aus den Spuren bemessen werden, die sie in den Felsen längs ihres Weges zurückgelassen haben. Ebenso unauslöschlich sind die Gedanken und Taten der Menschen im rückstrahlen- den Äther verzeichnet, und der geübte Seher kann ihre Geschichte mit der Genauigkeit lesen, die seiner Fähigkeit entspricht.

   Der rückstrahlende Äther verdient seinen Namen in mehr als einer Hinsicht, denn die darin enthaltenen Bilder sind nur Rückstrahlungen aus dem Gedächtnis der Natur. Das wirkliche Gedächtnis der Natur ist in einer viel höheren Welt zu finden. Kein gründlich geschulter Hellseher kümmert sich um die Bilder im rückstrahlenden Äther, denn im Vergleich

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mit jenen der höheren Welten sind sie verwischt und undeutlich. Jene, die im rückstrahlenden Äther lesen, haben gewöhnlich keine Wahl, denn meist wissen sie nicht einmal, worin sie lesen. In der Regel beziehen gewöhnliche Hell- seher und Medien ihre Kenntnisse durch den rückstrahlenden Äther. Auch der Schüler auf den ersten Stufen der okkulten Schulung liest in geringem Maß aus dem rückstrahlenden Äther.

   Doch macht ihn sein Lehrer darauf aufmerksam, daß dieser Äther zur Erlangung vollkommen genauer Belehrungen unzureichend ist, damit er nicht so leicht falsche Schlüsse daraus zieht.

   Dieser Äther ist es auch, durch den die Gedanken einen Eindruck auf das menschliche Gehirn hervorrufen. Er hängt mit der vierten Unterabteilung der Gedankenwelt aufs innigste zusammen. Sie ist die höchste der vier Unterabtei- lungen der Region der konkreten Gedanken; es ist die Heimat des menschlichen Intellekts. Dort findet man eine viel klarere Wiedergabe des Gedächtnisses der Natur als im rückstrahlenden Äther.

  

Die Empfindungswelt

   Wie die physische Welt und jedes andere der Naturreiche zerfällt auch die Empfindungswelt in sieben Unterabteilun- gen, die "Regionen" genannt werden. Entgegen der physi- schen Welt hat sie jedoch keine große Zweiteilung ähnlich der chemischen Region und der Ätherregion. Als Material für die Verkörperung der Empfindungen finden wir in allen sieben Unterabteilungen oder Regionen den Empfindungs- stoff.

   Gleich wie die chemische Region das Reich der Formen ist und die Ätherregion die Heimat der Kräfte, welche die Formen beleben, bewegen und fortpflanzen, so wirken die Kräfte in der Empfindungswelt auf den belebten dichten Körper und veranlassen ihn, sich in dieser oder jener Richtung zu bewegen.

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Wenn nur die Tätigkeiten der chemischen und der Äther- regionen der physischen Welt vorhanden wären, so hätten wir lebende Körper, die sich wohl bewegen könnten, jedoch keinen Antrieb, es zu tun. Diesen Antrieb veranlassen die kosmischen Kräfte, die in der Welt der Empfindungen wirken. Ohne diesen Antrieb, der jede Fiber des belebten Körpers durchdringt und Tätigkeit nach dieser oder jener Richtung fordert, könnten wir weder Erfahrungen sammeln, noch moralisch wachsen.

   Wohl würden die Fähigkeiten der verschiedenen Ätherarten für das körperliche Wachstum sorgen, doch am moralischen Wachstum würde es vollständig fehlen. Die Entwicklung würde zur Unmöglichkeit, sowohl jene der Form, wie auch die des Lebens, denn die Entwicklung der Formen zu höheren Stufen geschieht nur entsprechend der Erlangung geistigen Wachstums.

   Aus dem Obenerwähnten ersehen wir gleichzeitig die große Wichtigkeit dieses Naturreiches.

   Begierden, Wünsche, Leidenschaften und Gefühle drücken sich in der Materie der verschiedenen Regionen der Empfin- dungswelt ebenso aus, wie Form und Gestalt in der chemi- schen Region der physischen Welt. Sie nehmen Formen an, die länger oder kürzer andauern, entsprechend der Intensität der Begierde, des Wunsches oder des Gefühls, die darin verkörpert sind. In der Empfindungswelt tritt der Unterschied zwischen Kraft und Materie nicht so begrenzt und offenbar hervor, wie in der physischen Welt. Beinahe könnte man sagen, daß hier die Ideen der Kraft und der Materie identisch oder austauschbar sind. Das ist nicht ganz so, doch kann man immerhin behaupten, daß die Empfindungswelt aus Kraft-Materie besteht.

   Wenn wir von der Materie der Empfindungswelt sprechen, so müssen wir zugeben, daß sie einen Grad weniger dicht ist, als die Materie der physischen Welt. Aber es ist vollständig falsch zu glauben, sie sei feinere physische Materie. Das ist eine völlig irrige Ansicht, obwohl sie von vielen vertreten wird, die sich mit okkulten Philosophien beschäftigt haben.

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Der falsche Eindruck wird hauptsächlich hervorgerufen durch die Schwierigkeit, eine so vollständige und genaue Be- schreibung zu geben, wie sie für das durchdringende Ver- ständnis der höheren Welten erforderlich wäre.

   Leider dient unsere Sprache zur Beschreibung materieller Dinge und ist daher völlig ungeeignet, Zustände der über- physischen Reiche wiederzugeben. Alles, was über diese Reiche gesagt wird, muß als Versuch, als Gleichnis, weniger aber als wirkliche Beschreibung aufgefaßt werden.

   Obwohl der Berg und das Gänseblümchen, der Mensch, das Pferd und ein Stück Eisen aus ein und derselben atomaren Ursubstanz zusammengesetzt sind, können wir nicht sagen, daß das Gänseblümchen eine feinere Form des Eisens sei. Ebenso unmöglich ist es in Worten den Wechsel oder Unterschied der physischen Materie zu erklären, wenn sie in Empfindungsstoff zerlegt wird. Wenn kein Unterschied bestünde, so würde die letztere den Gesetzen der physischen Welt unterliegen, was nicht der Fall ist.

   Das Gesetz der Materie der chemischen Region ist Träg- heit, das Bestreben, im status quo zu bleiben. Eine gewisse Kraft ist erforderlich, um die Trägheit zu überwinden und einen Körper, der ruht, zur Bewegung und einen sich bewegenden Körper zur Ruhe zu bringen.

   Anders mit der Materie der Empfindungswelt; hier lebt die Materie beinahe selbst. Sie ist in unaufhörlicher Bewegung, in beständigem Fluß und nimmt alle vorstellbaren und nicht vorstellbaren Formen mit einer Leichtigkeit und Schnelligkeit an, die sich der Beobachtung entzieht. Gleichzeitig funkelt und schimmert sie in tausend immer wechselnden Farben, die sich mit nichts vergleichen lassen, was je in unser physisches Bewußtsein eindrang. Einen schwachen Abglanz der Tätigkeit und Erscheinungen dieser Materie (der Empfin- dungswelt) gewinnen wir, wenn wir eine Perlmutterschale in der Sonne hin- und herbewegen.

   Dies ist das Charakteristikum der Empfindungswelt - immer wechselndes Licht und Farbe, in dem sich die Kräfte

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der Tiere und Menschen mit den Kräften ungezählter Hierarchien von geistigen Wesen vermengen, die in unserer physischen Welt nicht in Erscheinung treten, aber dort ebenso tätig sind wie wir hier. Einige davon sollen später behandelt werden. Ihre Verbindung mit der menschlichen Entwicklung wird dort beschrieben werden.

   Die Kräfte, die von den großen, verschiedenartigen Scharen von Wesen ausgehen, formen die immer veränderliche Materie der Empfindungswelt in unzählige und verschiedene Formen von größerer oder geringerer Dauer, entsprechend der treibenden Energie des Impulses, dem sie ihr Dasein ver- danken.

   Schon aus dieser flüchtigen Beschreibung ersieht man, wie schwer es dem Neophyten (Neuling) - dessen geistiges Auge eben geöffnet wurde - werden mag, in der Empfindungswelt sein Gleichgewicht zu finden. Der geübte Hellseher hört bald auf, sich über die manchmal unmöglichsten Beschreibungen zu wundern, welche durch Medien übermittelt werden. Sie mögen vollkommen ehrlich sein, aber die Möglichkeiten sich zu irren (parallax) und sie unrichtig zu erhalten, sind so zahlreich und von feinster Art, daß es erstaunlich ist, wenn sie jemals etwas korrekt vermitteln. Wir alle mußten als kleine Kinder sehen lernen und können dies heute noch an einem Säugling beobachten, denn das Kleine greift nach den Dingen im Zimmer, nach denen über der Straße oder auch nach dem Mond. Es ist ihm völlig unmöglich, Entfernungen abzuschätzen.

   Wir können auch bemerken, daß der sehend gewordene Blinde anfangs oftmals die Augen schließt, um von einem Ort zum andern zu gelangen, wobei er - bevor er gelernt hat, seine Augen zu gebrauchen - behauptet, es sei viel leichter, sich tastend vorwärts zu bewegen. So muß auch der Schüler, dessen innere Organe der Wahrnehmung geöffnet wurden, sich erst im Gebrauch seiner neu erworbenen Fähigkeit üben. So wird der Neophyt (Neuling) anfänglich die durch seine Erfahrung in der physischen Welt erworbenen Kenntnisse auf

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die Empfindungswelt anzuwenden versuchen, weil er deren eigene Gesetze noch nicht kennengelernt hat. Dies wird zur Quelle zahlloser Störungen und Verwicklungen. Ehe er verstehen lernt, muß er wie ein kleines Kind werden, das sein Wissen ohne Bezug auf vorhergehende Erfahrungen in sich aufnahm.

   Um zu einem korrekten Verständnis der Empfindungswelt zu gelangen, muß man sich dessen bewußt werden, daß sie die Welt der Gefühle, der Wünsche und Erregungen ist. Sie alle stehen unter der Herrschaft zweier großer Kräfte: der Kraft der Anziehung und der Abstoßung, die in den drei niederen Regionen der Empfindungswelt in anderer Art tätig sind, als in den drei höheren oder feineren Regionen, während die mittlere neutraler Grund genannt werden kann.

   Die mittlere Region ist die Region des Gefühls. Hier neigt das Interesse für - oder die Gleichgültigkeit gegen - einen Gegenstand oder eine Idee die Waage zugunsten einer der beiden vorerwähnten Kräfte und versetzt den Gegenstand oder die Idee in die drei höheren oder drei niederen Regio- nen der Empfindungswelt, oder aber sie schalten sie aus. Wir werden sehen, wie das vor sich geht.

   In der feinsten und dünnsten Substanz der drei höheren Regionen der Empfindungswelt hat die Anziehung die Alleinherrschaft, aber sie ist auch in gewissem Grad in der dichteren Materie der drei unteren Regionen vorhanden und wirkt dort der Abstoßungskraft entgegen, die in diesen Unterabteilungen vorherrscht. Die auflösende Kraft der Abstoßung würde bald jede Form zerstören, die in diese drei niederen Regionen käme, würde ihr nicht auf diese Weise entgegengewirkt werden. In der dichtesten oder niedersten Region, wo sie am stärksten ist, reißt und schüttelt sie die hier erbauten Formen, daß es grauenhaft anzusehen ist, und dennoch ist sie keine vandalische Kraft. Nichts in der Natur ist vandalisch. Selbst was so zu sein scheint, arbeitet nur dem Guten in die Hand. So auch diese Kraft in der untersten Region der Empfindungswelt. Hier sind die Körper dämoni-

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sche Schöpfungen, geschaffen von den gröbsten Leiden- schaften und Begierden von Mensch und Tier.

   Jede Form der Empfindungswelt hat das Bestreben, alles Gleichartige anzuziehen, um dadurch zu wachsen. Wenn diese Tendenz der Anziehung in den niedersten Regionen zu sehr vorherrschte, so wüchse das Böse wie Unkraut. Im Kosmos würde statt der Ordnung die Anarchie das Zepter schwingen. Dem kommt die überlegene Kraft der Abstoßung in dieser Region zuvor. Wenn eine grobe Empfindungsform durch eine andere gleichartige angezogen wird, entsteht eine Disharmonie in ihren Vibrationen, wodurch eine auf die andere vernichtend wirkt. Statt daß das Übel sich mit Übel eint und vermischt, wirken sie gegenseitig mit zerstörender Gewalt, und so wird das Böse in der Welt in vernünftigen Grenzen gehalten. Wenn wir die Arbeit dieser Zwillings- kräfte so auffassen, verstehen wir den okkulten Grundsatz: "In der Empfindungswelt ist eine Lüge sowohl Mord wie Selbstmord."

   Alles, was sich in der physischen Welt ereignet, wird in alle anderen Reiche der Natur zurückgestrahlt und baut sich - wie wir gesehen haben - seine geeignete Form in der Empfindungswelt. Sobald ein wahrer Bericht des Geschehe- nen gegeben wird, erbaut es sich eine neue Form, die der ersten vollkommen gleicht. Sie ziehen sich an, verschmelzen und stärken einander.

   Wenn nun ein unwahrer Bericht gegeben wird, so entsteht eine von der wahren Grundform verschiedene und ihr feindliche Form. Weil sie mit demselben Ereignis zu tun haben, werden sie zusammengezogen, aber weil ihre Vibra- tionen verschieden sind, wirken sie gegenseitig zerstörend. Darum können schlechte, boshafte Lügen alles Gute töten, wenn sie mit gehöriger Kraft und oft genug wiederholt werden.

   Umgekehrt wird das Suchen nach dem Guten im Bösen mit der Zeit das Böse in Gutes verwandeln. Wenn jene Form, die

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erbaut wurde, um das Böse zu verringern, schwach ist, bleibt sie wirkungslos und wird durch die böse Form zerstört.

   Ist sie stark und wird sie oft genug wiederholt, so wird sie die böse Form erfolgreich zerstören und die gute an ihre Stelle setzen. Man merke sich wohl, daß dieser Erfolg nicht durch Lügen erzielt wird, auch nicht durch Verneinen des Bösen, sondern dadurch, daß man das Gute aufsucht. Der okkulte Wissenschaftler wendet dieses Prinzip - in allen Dingen nach dem Guten zu suchen - sehr gewissenhaft an, denn er weiß, mit welcher Kraft das Böse dadurch nieder- gehalten wird.

   Es gibt eine Legende von Christus, die diesen Punkt beleuchtet. Als der Herr einst mit seinen Jüngern wanderte, kamen sie an dem verwesenden und übelriechenden Leich- nam eines Hundes vorüber. Die Jünger wandten sich mit Widerwillen ab und entsetzten sich vor dem ekelerregenden Anblick. Christus aber blickte auf den Leichnam und sagte: "Perlen sind nicht weißer als seine Zähne." Er war entschlos- sen, das Gute zu finden, denn er erkannte die wohltätige Wirkung in der Empfindungswelt, wenn er ihm Ausdruck verlieh.

   Die niederste Region der Empfindungswelt wird die "Region der Leidenschaften und sinnlichen Begierden" genannt. Für die zweite Region ist der treffendste Name "Region der Eindrucksfähigkeit". Hier gleichen sich die Wirkungen der Zwillingskräfte: Anziehung und Abstoßung gerade aus. Diese Region ist neutral, daher sind alle unsere Eindrücke, deren Material dieser Region entlehnt ist, neutral. Nur wenn die Zwillingsgefühle, denen wir in der vierten Region begegnen werden, zur Tätigkeit gelangen, kommen die Zwillingskräfte ins Spiel.

   Doch der bloße Eindruck irgendwelcher Art ist vom Gefühl, das er hervorruft, vollständig zu trennen. Der Eindruck ist neutral und eine Tätigkeit, die der zweiten Region der Empfindungswelt entspringt. Dort formen sich Bilder durch die Kraft der Sinneswahrnehmung im Lebens- leib des Menschen.

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   In der dritten Region der Empfindungswelt hat die auf- bauende, zusammenziehende Anziehungskraft bereits die Oberherrschaft über die Abstoßungskraft mit ihren zer- störenden Absichten gewonnen. Wenn wir begreifen, daß der springende Punkt in der Wirkung der Abstoßung die Selbst- behauptung ist, ein Verdrängen alles anderen, um für sich Raum zu gewinnen, so verstehen wir auch, daß sie einer Begierde nach anderen Dingen sehr leicht nachgibt, so daß die Stoffmasse der dritten Region der Empfindungswelt hauptsächlich durch die Kraft der selbstsüchtigen Anziehung anderer Dinge beherrscht wird. Darum ist diese Region die Region der Wünsche.

   Die Region der groben Begierden kann mit der festen Region der physischen Welt verglichen werden; die Region der Eindrucksfähigkeit mit jener der flüssigen, und die sich verflüchtigende, sich immerwährend ändernde Region der Wünsche vollendet den Vergleich mit der gasförmigen Region der physischen Welt. Diese drei Regionen geben die Substanzen für die Formen, die sich zu unserer Erfahrung, unserem Seelenwachstum und unserer Entwicklung bilden, die das vollständig Zerstörende ausscheiden und das Material zurückbehalten, das für den Fortschritt förderlich ist.

   Die vierte Region der Empfindungswelt ist die "Region der Gefühle". Hier entspringen jene Gefühle, welche die bereits beschriebenen Formen betreffen. Von den Gefühlen, die von hier erzeugt werden, hängt ihre Lebendigkeit für uns und ihre Wirksamkeit auf uns ab. Auf dieser Stufe ist es nicht wichtig, ob Gegenstände und Ideen an und für sich gut sind. Es ist unser eigenes Gefühl des Interesses oder der Gleich- gültigkeit, das zum bestimmenden Faktor für das Schicksal des Gegenstandes oder der Idee wird.

   Wenn das Gefühl, mit dem wir einem auf uns gemachten Eindruck eines Gegenstandes oder einer Idee begegnen, Interesse ist, so hat es die gleiche Wirkung auf diese, wie das Sonnenlicht und die Luft auf die Pflanzen. Eine solche Idee wächst und gedeiht in unserem Leben. Begegnen wir hingegen dem Eindruck eines Gegenstandes oder einer Idee mit Gleichgültigkeit, so welken sie dahin wie die Pflanzen in einem dunklen Keller.

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   Daher kommt aus dieser Mittelregion der Empfindungswelt der Impuls zu Handlungen oder die Entscheidung, sich ihrer zu enthalten (letzteres ist im Sinne des okkulten Wissen- schaftlers gleichwohl auch Handlung). Denn auf unserer gegenwärtigen Entwicklungsstufe sind die Zwillingsgefühle Interesse und Gleichgültigkeit der Antrieb zu den Handlun- gen und die Triebfedern, welche die Welt bewegen. Auf späteren Stufen werden diese Gefühle jeden Einfluß ver- lieren. Denn dann wird der entscheidende Faktor das Pflichtbewußtsein werden.

   Das Interesse setzt die Kräfte der Anziehung und Ab- stoßung in Bewegung.

   Die Gleichgültigkeit aber verursacht das Hinwelken des Gegenstandes oder der Idee, auf die sie gerichtet ist, soweit es unsere Beziehung zu ihr betrifft.

   Wenn unser Interesse an einem Gegenstand oder einer Idee die Kraft der Abstoßung hervorruft, so sind wir natürlich bestrebt, aus unserem Leben alles zu entfernen, was mit dem betreffenden Gegenstand oder der Idee zusammenhängt. Zwischen der Tätigkeit der Abstoßung und dem bloßen Gefühl der Gleichgültigkeit besteht jedoch ein großer Unterschied. Vielleicht erklärt ein Beispiel die Tätigkeit der Zwillingsgefühle und der Zwillingskräfte deutlicher.

   Drei Männer gehen eine Straße entlang. Sie sehen einen kranken Hund. Er ist mit Geschwüren bedeckt und leidet sichtbar unter Qualen und Durst. Dies nehmen alle drei Männer durch ihre Sinne wahr. Nun kommt das Gefühl dazu. Zwei "interessieren" sich für das Tier, den dritten läßt es "gleichgültig". Er geht vorüber und überläßt den Hund seinem Schicksal. Die beiden anderen bleiben zurück. Sie interessieren sich beide, aber ihr Interesse äußert sich auf verschiedene Weise. Das Interesse des einen ist voller Anteilnahme und Hilfsbereitschaft, das ihn veranlaßt, sich um das arme Tier zu kümmern, seine Schmerzen zu stillen und es gesund zu pflegen. In ihm hat das Gefühl des Interesses die Kraft der Anziehung wachgerufen. Das

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   Interesse des anderen Mannes ist von anderer Art. Er sieht nur ein Bild, das ihm widerwärtig ist und wünscht, sich und die Welt so schnell wie möglich davon zu befreien. Er rät, das Tier sofort zu töten und zu begraben. In ihm hat das Gefühl des Interesses die zerstörende Kraft der Abstoßung wachgerufen.

   Wenn das Gefühl des Interesses die Anziehungskraft wach- ruft und auf niedere Gegenstände und Begierden gerichtet ist, so wirken sich diese in den niederen Regionen der Empfin- dungswelt aus, in denen - wie früher beschrieben wurde - die entgegenwirkende Kraft der Abstoßung tätig ist. Aus dem Kampf der Zwillingskräfte - Anziehung und Abstoßung - entstehen all die Schmerzen und Leiden, die an unrechte oder fehlgeleitete Bemühungen geknüpft sind, mögen sie beabsichtigt sein oder nicht.

   Daraus ersehen wir, wie äußerst wichtig das Gefühl ist, das wir in bezug auf irgend etwas haben. Denn es erzeugt die Natur der Atmosphäre, die wir uns selbst schaffen. Lieben wir das Gute, so erhalten und ernähren wir als Schutzengel alles, was gut um uns ist. Im anderen Fall bevölkern wir unseren Weg mit Dämonen unserer eigenen Schöpfung.

   Die Namen der drei höheren Regionen der Empfindungs- welt sind: "Region des Seelenlebens", "Region des See- lenlichtes" und "Region der Seelenkraft". In diesen wohnen Kunst, Nächstenliebe, Menschenfreundlichkeit und alle Tätigkeiten des höheren Seelenlebens. Wenn wir uns vorstellen, daß die höheren Regionen die Eigenschaften, nach denen sie benannt sind, in die Formen der niederen Regionen ausstrahlen, so verstehen wir die Tätigkeiten der höheren und niederen Regionen richtig.

   Immerhin kann Seelenkraft zeitweilig für schlechte Zwecke ebensogut angewandt werden, wie für gute, doch dann tritt die Abstoßungskraft in Tätigkeit und zerstört das Laster, während die Anziehung auf seinen zertrümmerten Ruinen die Tugend aufbaut. Im letzten Grund arbeiten alle Dinge gemeinschaftlich für das GUTE.

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   Die physische Ebene und die Empfindungswelt sind voneinander nicht räumlich getrennt. Sie sind uns näher als "Hände und Füße". Man braucht sich nicht von der Stelle zu bewegen, um von einer Welt in die andere und von einer Region in die andere zu gelangen. Gerade so, wie die festen Körper, Flüssigkeiten und Gase in unseren Körpern vereint sind und einander durchdringen, verhält es sich auch mit den verschiedenen Regionen der Empfindungswelt. Wieder können wir die Kraftlinien - längs derer sich die Eiskristalle im Wasser bilden - mit den unsichtbaren, in der Empfin- dungswelt entstehenden Ursachen vergleichen, die in der physischen Welt in Erscheinung treten und uns den Anstoß zum Handeln nach irgendeiner Richtung geben.

   Die Empfindungswelt mit ihren unzähligen Bewohnern durchdringt die physische Welt, wie die Kraftlinien das Wasser - unsichtbar aber allgegenwärtig und mächtig, als Ursache allen Geschehens in der physischen Welt.

  

Die Gedankenwelt

   Auch die Gedankenwelt besteht aus sieben Regionen von verschiedener Eigenschaft und Dichte und zerfällt - wie die physische Welt - in zwei Hauptabteilungen: die Region der konkreten Gedanken, welche die vier dichtesten Regionen umfaßt, und die Region der abstrakten Gedanken, welche die drei Regionen der feinsten Substanz umfaßt. Die Gedanken- welt ist die mittlere der fünf Welten, aus denen der Mensch die Träger seines Ego erhält, denn hier begegnen sich Körper und Geist. Sie ist auch die höchste der drei Welten, in denen die gegenwärtige menschliche Entwicklung vor sich geht; während die zwei noch höheren Welten für uns Menschen praktisch noch nicht in Betracht kommen.

   Wir wissen nun bereits, daß die Stoffe der chemischen Region zum Aufbau aller physischen Formen verwendet werden. Diesen Formen werden durch die in der Ätherregion wirkenden Kräfte Leben und die Kraft der Bewegung

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gegeben. Weiterhin werden einige dieser belebten Formen durch die Zwillingsgefühle der Empfindungswelt zur Tätig- keit angeregt. Die Region der konkreten Gedanken liefert den Gedankenstoff, worin sich die in der Region der ab- strakten Gedanken entstandenen Ideen als Gedankenformen äußern, um als Regulatoren und Balanceräder auf die Impulse zu wirken, die in der Empfindungswelt durch die Eindrücke aus der physischen Welt erzeugt werden.

   So sehen wir, wie die drei Welten, in denen der Mensch sich jetzt entwickelt, einander ergänzen und ein Ganzes bilden, das die erhabene Weisheit des großen Baumeisters jenes Systems offenbart, dem wir angehören und den wir ehren in dem heiligen Namen Gott.

   Betrachten wir die verschiedenen Unterabteilungen der Region der konkreten Gedanken einzeln, so finden wir in der niedersten, "Kontinentale Region" genannten Abteilung, die Urtypen der physischen Formen, ohne Unterschied, welchem Reich sie angehören. In dieser "kontinentalen Region" befinden sich auch die Urtypen der Erdteile und Inseln unserer Welt; ihre äußere Form entspricht diesen Urtypen. Veränderungen in der Erdrinde müssen in der kontinentalen Region vorgezeichnet werden. Erst wenn die Urtype ver- ändert worden ist, können die Intelligenzen, die wir (um unsere Unwissenheit zu verbergen) "Naturgesetze" nennen, die physischen Bedingungen hervorrufen, die die physischen Züge der Erde entsprechend denjenigen Abänderungen umgestalten, welche die mit der Evolution betrauten Hier- archien vorgezeichnet haben. Diese planen Veränderungen ebenso, wie sie der Architekt bei einem Gebäude plant, bevor die Werkleute ihm schließlich seine konkrete Form geben. Ebenso sind die Umgestaltungen der Flora und Fauna (Pflanzen- und Tierwelt) den Metamorphosen (Um- wandlungen) ihrer betreffenden Urtypen zu verdanken.

   Wenn wir von den Urtypen der verschiedenen Formen der dichten Welt sprechen, dürfen wir nicht glauben, daß sie lediglich Modelle sind, etwa so wie ein verkleinertes

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Versuchsmodell, das aus einem anderen Material konstruiert ist, als aus dem, in dem es letztlich ausgeführt wird. Sie sind nicht nur Abbilder oder Modelle der Formen, die wir um uns sehen, sondern sie sind schöpferische Urtypen. Dies heißt, sie formen die Körper der physischen Welt nach ihrem Ebenbild oder besser gesagt, nach ihren Ebenbildern, denn oft arbeiten viele zusammen, um eine bestimmte Art zu formen und jede Urtype trägt ihren Teil dazu bei, um die erforderliche neue Form zu erbauen.

   Die zweite Unterabteilung der Region der konkreten Gedanken ist die "Ozeanische Region". Am besten beschreibt man sie als fließende und pulsierende Lebenskraft. Hier sieht man als Urtypen all jene Kräfte, die durch die vier Äthergattungen der Ätherregion wirksam sind. Sie ist ein Strom flutenden Lebens, der durch alle Formen kreist, ähnlich dem durch den Körper pulsierenden Blut; es ist in allen Formen ein und dasselbe Leben. Hier sieht der geübte Hellseher am besten, wie wahr es ist, daß "alles Leben eins ist".

   Die "Luftregion" ist die dritte Abteilung der Region der konkreten Gedanken. Hier finden wir die Urtypen der Begierden, Leidenschaften, Wünsche, Gefühle und Gemüts- erregungen, wie wir sie in der Empfindungswelt erleben. Hier erscheinen alle Tätigkeiten der Empfindungswelt als luftige Zustände. Gleich einer sommerlichen Brise wird der Sinn des Hellsehers durch die Gefühle der Zufriedenheit und Freude umweht. Wie das Seufzen des Windes in den Wipfeln der Bäume erscheint hier das Sehnen der Seele, die Leidenschaften kriegführender Nationen hingegen wie die Strahlen der Blitze. In dieser Atmosphäre der Region der konkreten Gedanken befinden sich auch Bilder aus dem Gefühlsleben der Menschen und Tiere.

   Die Region der "Kräfte der Urtypen" ist die vierte Ab- teilung der konkreten Gedankenregion. Sie ist die mittelste und wichtigste in den fünf Welten, worin die gesamte Evolution des Menschen vor sich geht. Auf der einen Seite dieser Region stehen die drei höheren Regionen der Gedan- kenwelt, die Welt des Lebensgeistes und die Welt des

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göttlichen Geistes. Auf der anderen Seite dieser Region der Kräfte der Urtypen sind die drei niederen Regionen der Gedankenwelt, die Empfindungswelt und die physische Welt. So wird diese Region zu einer Art "Kreuz", das an der einen Seite durch die Welten des Geistes, an der anderen durch die Welten der Form begrenzt wird. Sie ist der Brennpunkt, worin der Geist sich in der Materie widerspiegelt.

   Wie schon der Name sagt, ist diese Region die Heimat der Kräfte der Urtypen, welche die Tätigkeit der Urtypen in der Region der konkreten Gedanken lenken. Aus dieser Region wirkt der Geist formend auf die Materie. Diagramm 1 zeigt diese Idee schematisch. Man sieht, daß die Formen der nie- deren Welt Widerspiegelungen des Geistes aus den höheren Welten sind. Die fünfte Region, welche dem Brennpunkt von der Seite des Geistes am nächsten liegt, spiegelt sich in der dritten wider, die dem Brennpunkt auf der Seite der Form am nächsten liegt; die sechste Region spiegelt sich in der zweiten und die siebte in der ersten.

   Die Gesamtheit der abstrakten Gedankenregion wird in der Empfindungswelt zurückgestrahlt; die Welt des Lebens- geistes in der Ätherregion der physischen Welt, und die Welt des göttlichen Geistes in der chemischen Region der physi- schen Welt.

   Diagramm 2 gibt einen Überblick über die sieben Welten, die unsere Entwicklungssphäre bilden. Wir müssen jedoch sorgsam festhalten, daß diese Welten nicht eine über der anderen stehen, wie sie durch das Diagramm dargestellt sind. Vielmehr durchdringen sie einander, so wie es an dem vergleichenden Beispiel der physischen Ebene und der Empfindungswelt gezeigt wurde, worin wir die Empfin- dungswelt mit den Kraftlinien im gefrierenden Wasser und das Wasser selbst mit der physischen Welt verglichen hatten.

   Das Gleiche können wir über die Kraftlinien von jeder der sieben Welten denken, und das Wasser würde - wie in unserem obigen Beispiel - der nächstdichten Welt in dieser

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Diagramm 1: Die relative Beständigkeit der sichtbaren und unsichtbaren Welten (im vergleich mit einer Dia-Projektion)

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Abstufung entsprechen. Vielleicht kann ein anderes Beispiel dies noch deutlicher erklären.

   Wir wollen uns die dichte Erde - die chemische Region - als einen runden Schwamm versinnbildlichen. Stellen wir uns vor, daß feiner Sand alle Poren des Schwammes durchdringt und auch eine Schicht um ihn herum bildet; der Sand kann die Ätherregion darstellen, welche die dichte Erde durch- dringt und sich über ihre Atmosphäre erstreckt.

   Denken wir uns ferner diesen Schwamm samt Sand einge- taucht in ein mit reinem Wasser gefülltes, rundes Glasgefäß, das etwas größer ist, als der Schwamm mit dem Sand. Wir setzen Schwamm und Sand in die Mitte des Gefäßes, gleich dem Dotter im Ei. Nun haben wir eine Schicht reinen Wassers zwischen dem Glasgefäß und dem Schwamm. Das Wasser als Ganzes soll die Empfindungswelt darstellen, denn so wie das Wasser zwischen die Sandkörner und selbst in die kleinsten Poren des Schwammes dringt und noch außerhalb eine klare Schicht bildet, so durchdringt die Empfindungs- welt sowohl die dichte Erde wie den Äther und erstreckt sich noch über die Grenzen dieser beiden Substanzen hinaus.

   Wir wissen, daß das Wasser von Luft durchdrungen wird, und wenn wir uns in unserem Beispiel die Luft als Re- präsentantin der Gedankenwelt vorstellen, so haben wir ein schönes geistiges Bild, wie die feinere Gedankenwelt die zwei dichteren Welten durchdringt. Stellen wir uns schließ- lich vor, daß das Glasgefäß mit Schwamm, Sand und Wasser in die Mitte eines kugelförmigen größeren Gefäßes gesetzt wäre, so würde die Luftschicht zwischen den Wänden der beiden Gefäße jenen Teil der Gedankenwelt veranschauli- chen, der über die Empfindungswelt hinausragt.

   Jeder Planet unseres Sonnensystems hat drei einander so durchdringende Welten. Stellen wir uns jeden aus drei Welten bestehenden Planeten als einen Schwamm vor und die vierte Welt, die Welt des Lebensgeistes, als das Wasser in einem großen Gefäß, in dem diese dreifach getrennten

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Diagramm 2: Die Sieben Welten

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Schwämme schwimmen, so erfassen wir das Gleichnis: Wie das Wasser im Gefäß den Raum zwischen den Schwämmen ausfüllt und die Verbindung zwischen ihnen herstellt, so erfüllt die Welt des Lebensgeistes den interplanetarischen Raum und verbindet und durchdringt die einzelnen Planeten. Sie ist ein gemeinsames Band zwischen ihnen, und so wie es nötig ist, ein lenkbares Schiff zu haben, das uns von Ameri- ka nach Afrika bringt, so müßten wir auch unter bewußter Beherrschung einen Träger besitzen, welcher der Eigenart der Welt des Lebensgeistes entspricht, wollten wir von einem Planeten zum anderen reisen.

   Gleich wie die Welt des Lebensgeistes uns mit den anderen Planeten unseres Sonnensystems verbindet, so verbindet uns die Welt des göttlichen Geistes mit anderen Sonnensystemen. Wenn wir uns die Sonnensysteme als separate Schwämme vorstellen, die in der Welt des göttlichen Geistes schwim- men, so wird uns offenbar, daß, um von einem Sonnensy- stem zum anderen zu gelangen, man fähig sein müßte, im höchsten Träger des Menschen, im göttlichen Geist, bewußt zu wirken.


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