Die
Rosenkreuzer-Weltanschauung

von Max Heindel




Nicht Friede, sondern ein Schwert

   Alle Rassenreligionen stammen vom Heiligen Geist. Sie sind aber ungenügend, weil sie auf Gesetzen beruhen, die Vergehen fördern und Tod, Schmerz und Kummer bringen.

   Alle Rassengeister wissen dies und wissen auch, daß ihre Religionen nur Schritte zu etwas Besserem sind. Das zeigt sich in der Tatsache, daß alle Rassenreligionen ohne Ausnahme auf einen hinweisen, der kommen soll. Die Religion der Perser wies auf Mithras hin, die der Chaldäer auf Tammuz. Die altnordischen Götter sahen dem Herannahen der "Götterdämmerung" entgegen, wenn Surtr, der helle Sonnengeist, sie überwinden würde, so daß dann auf "Gimle", der erneuerten Erde, eine neue und bessere Ordnung herrschen könne. Die Ägypter warteten auf Horus, die neugeborene Sonne. Mithras und Tammuz werden auch als Sonnenscheiben symbolisiert, und die Haupttempel waren mit der Vorderansicht nach Osten errichtet worden, damit die Strahlen der aufgehenden Sonne direkt durch die offene Tür scheinen konnten. Selbst der Petersdom in Rom ist so angelegt.

   Alle diese Tatsachen weisen auf die allgemeine Kenntnis, daß der Eine, der da kommen sollte, ein Sonnengeist war,

  SEITE 384

der die Menschheit von den trennenden Einflüssen befreit, die notwendigerweise in allen Rassenreligionen enthalten sind.

   Diese Religionen waren Schritte, welche die Menschheit unbedingt machen mußte, um auf die Ankunft Christi vorbereitet zu werden. Zuerst muß der Mensch ein "Selbst" entwickeln, ehe er wahrhaftig selbstlos werden, und die höhere Stufe, die universelle Bruderschaft - Einheit des Zieles und der Interessen - verstehen kann, für die Christus bei Seinem ersten Kommen den Grund legte und die Er bei Seiner Wiederkunft zur lebendigen Wirklichkeit machen wird.

   Da das Hauptprinzip der Rassenreligion die Trennung ist, welche verlangt, daß der Mensch auf Kosten anderer Menschen und Nationen selbstsüchtig lebt, ist es klar, daß, wenn dieses Prinzip bis zu seiner letzten Konsequenz durchgeführt wird, es unbedingt eine zunehmend zerstörende Tendenz haben muß. Es würde schließlich sogar die Evolution unterbinden, würde ihm nicht eine mehr aufbauende Religion folgen.

   Daher mußten die trennenden Religionen des Heiligen Geistes der einigenden Religion des Sohnes Platz machen, welche die christliche ist.

   Das Gesetz muß der Liebe weichen, und die getrennten Rassen und Nationen werden als eine allumfassende Bruderschaft mit Christus, als dem ältesten Bruder, vereinigt.

   Die christliche Religion hat bis jetzt noch nicht genug Zeit gehabt, diese große Aufgabe zu verwirklichen. Noch ist der Mensch in den Fesseln des herrschenden Rassengeistes und die Ideale des Christentums sind für ihn noch zu hoch. Der Intellekt vermag einige Schönheiten der christlichen Religion zu erfassen und läßt auch bereitwillig zu, daß wir unsere Feinde lieben sollen, doch die Leidenschaften unseres Empfindungsleibes sind noch zu stark. Das Gesetz des Rassengeistes heißt: "Auge um Auge", das Gefühl ist: "Ich will Vergeltung". Das Herz fleht nach Liebe, der Empfindungsleib hofft auf Rache. Der Intellekt erkennt im Abstrakten die Schönheit, seine Feinde zu lieben, an. In

  SEITE 385

konkreten Fällen verbindet er sich aber mit dem Rachegefühl des Empfindungsleibes und entschuldigt sich mit der "Vergeltung" und "dem Schutz des sozialen Organismus".

   Wie dem auch sei, es ist zu begrüßen, daß sich die Gesellschaft gedrängt fühlt, die angewandten Verfahren zu entschuldigen. Verbesserte Methoden und Barmherzigkeit gewinnen bei den Gerichten mehr und mehr an Boden. Das zeigte sich in der günstigen Aufnahme, welche die ganz moderne Institution der Jugendgerichte gefunden hat. Diese Tendenz zeigt sich auch darin, daß schuldig erklärten Verbrechern immer häufiger eine Bewährungsfrist zugebilligt wird. Auch sind die Kriegsgefangenen in den letzten Jahren mit größerer Menschlichkeit behandelt worden. Dies sind die Vorboten des Gefühls der allgemeinen Brüderlichkeit, die langsam aber sicher ihren Einfluß ausübt (1909).

   Und doch, obwohl die Welt Fortschritte macht, und es dem Verfasser verhältnismäßig leicht fiel, sich in den verschiedenen Städten, in denen er sprach, eine Zuhörerschaft zu sichern, widmeten die Zeitungen seinen Äußerungen manchmal ganze, ja sogar die ersten Seiten, solange er sich darauf beschränkte, von den höheren Welten und dem Zustand nach dem Tod zu sprechen. Es ist aber bemerkenswert, daß, sobald das Thema die allgemeine Weltbruderschaft betraf, seine Artikel immer zur Aufnahme in den Papierkorb verurteilt wurden.

   Die Welt ist im allgemeinen abgeneigt, etwas zu beachten, was sie für "zu sehr" selbstlos hält. Es muß "etwas daran sein". Nichts wird als ein vollkommen natürlicher Vorgang betrachtet, wenn er nicht die Gelegenheit bietet, seine Mitmenschen "zu übervorteilen". Kaufmännische Unternehmungen werden auf dieser Grundlage geplant und ausgeführt.

   Im Intellekt derer, die durch ihre Gier nach nutzlosem Reichtum versklavt wurden, beschwört die Idee der allgemeinen Bruderschaft schreckliche Visionen einer Vernichtung des Kapitalismus herauf, verbunden mit der Unterbindung der Ausbeutung anderer und dem Schiffbruch der "geschäftlichen Interessen". Das Wort "versklavt"

  SEITE 386

beschreibt genau diesen Zustand. Der Bibel nach soll der Mensch über die Welt herrschen. Doch in den meisten Fällen ist es umgekehrt, die Welt hat die Herrschaft über den Menschen.

   Jeder Mensch mit Grundbesitz wird in seinen aufrichtigen Momenten zugeben, daß es eine nie versiegende Quelle von Unannehmlichkeiten ist, ständig planen zu müssen, um seinen Besitz zu erhalten, oder sich mindestens durch "scharfes Geschäftsgebaren" davor zu bewahren, seines Besitzes beraubt zu werden. Denn er weiß, daß andere unablässig darauf bedacht sind, dieses ihr ersehntes Ziel zu erreichen.

   Der Mensch ist der Sklave dessen, was er mit unbewußter Ironie "seinen Besitz" nennt, und was in Wirklichkeit ihn besitzt. Mit Recht sagt der Weise von Concord: "Die Dinge sitzen im Sattel und reiten die Menschheit."

   Dieser Zustand der Angelegenheiten ist die Folge der Rassenreligionen mit ihrem Gesetzessystem. Darum schauen alle diese Religionen nach "Einem aus, der da kommen soll". Die christliche Religion ALLEIN blickt nicht nach einem aus, der da kommen soll, sondern nach einem, der wiederkommen soll.

   Die Zeit dieses zweiten Kommens hängt davon ab, wann die Kirche sich vom Staat befreien kann. Die Kirche, besonders in Europa, ist an den Staatswagen gefesselt (1909). Die Priester sind durch ökonomische Rücksichten gebunden und wagen nicht die Wahrheiten zu verkünden, die ihre Studien ihnen offenbart haben.

   Ein Besucher in Kopenhagen (Dänemark) war kürzlich Zeuge einer Konfirmationsfeier (1909). Die Kirche steht dort unter Aufsicht des Staates, und alle Priester werden durch die Regierung ernannt. Die Gemeindemitglieder haben in dieser Angelegenheit kein Stimmrecht. Es steht ihnen frei, die Kirchen zu besuchen oder nicht, die Abgaben aber müssen sie zur Erhaltung der Institution bezahlen.

  SEITE 387

   In Ergänzung dazu, daß der Gottesdienst mit Hilfe des Staates abgehalten wird, war der Pastor der betreffenden Kirche noch mit verschiedenen Orden vom König dekoriert, deren glitzernde Sterne ein stilles aber beredtes Zeugnis für das Maß seiner Abhängigkeit vom Staat ablegten. Während der Zeremonie betete er für den König und die Gesetzgeber, damit das Land weise regiert würde. Solange König und Gesetzgeber bestehen, ist das Gebet für sie sicherlich sehr angebracht. Es berührte aber den Besucher unangenehm, als der Pastor noch hinzufügte: " ... und, allmächtiger Gott, beschütze und stärke unsere Armee und Marine."

   Ein solches Gebet zeigt offen, daß der angebetete Gott der Stammes- oder Nationalgott, der Rassengeist ist. Denn die letzte Tat des liebenden Christus war es, das Schwert des Freundes aufzuhalten, der ihn damit beschützen wollte. Wenn er sagte, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern ein Schwert, so geschah dies, weil er die Meere von Blut voraussah, die durch die kriegführenden "christlichen" Nationen im Mißverstehen seiner Lehren vergossen werden würden, weil von der Menschheit hohe Ideale nicht sofort erfaßt werden können. Der Massenmord des Krieges und ähnliche Barbareien sind hart, sind aber machtvolle Beispiele dafür, wovon die Liebe uns befreien kann.

   Es besteht anscheinend ein offener Widerspruch zwischen den Worten Jesu Christi: "Ich kam nicht, um Frieden zu bringen, sondern ein Schwert" und dem himmlischen Gesang, der die Geburt Jesu mit den Worten ankündigte: "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." Dieser Widerspruch ist jedoch nur scheinbar.

   Es liegt ebenso ein scheinbarer Widerspruch in den Worten einer Frau, die sagt: "Jetzt werde ich aufräumen und saubermachen", und die dann beginnt Teppiche wegzunehmen, Stühle aufeinanderzustellen und eine allgemeine Unordnung in einem früher ordentlichen Haus zu machen. Einer, der nur diesen Teil ihrer Arbeit sähe, würde mit Recht sagen, sie "vergrößere nur die Unordnung, statt aufzuräumen". Wenn er

  SEITE 388

aber den Zweck ihrer Arbeit erfaßt, wird er die vorübergehende Unordnung verstehen, und schließlich wird ihr Haus nach der Störung besser geordnet sein.

   Ebenso müssen wir bedenken, daß die Zeit seit dem Erscheinen des Christus-Jesus im Vergleich mit auch nur einem Manifestationstag nicht viel mehr als ein Augenblick ist. Wir müssen wie Whitman "die Fülle der Zeit" erkennen lernen. Wir müssen über die vergangenen und gegenwärtigen Grausamkeiten und Eifersüchteleien der streitenden Sekten auf das leuchtende Zeitalter der allgemeinen Bruderschaft hinschauen lernen. Sie ist der nächste große Schritt der Menschheit auf ihrer langen und wunderbaren Reise vom Erdklumpen zu Gott, vom Protoplasma zur bewußten Einheit mit dem Vater, diesem

  ..... einen weit entfernten göttlichen Ereignis, zu dem sich hinbewegt die ganze Schöpfung.

   Es sei noch hinzugefügt, daß während der Zeremonie des Empfanges seiner Schüler in der Kirche der obenerwähnte Pastor sie lehrte, daß Jesus Christus ein zusammengesetztes Wesen sei, daß Jesus der sterbliche, menschliche Teil war und Christus der unsterbliche göttliche Geist. Wahrscheinlich hätte er im Fall einer Diskussion diese Behauptung nicht aufrechterhalten können, obwohl er eine okkulte Wahrheit aussprach.

Der Stern von Bethlehem

   Den vereinigenden Einfluß des Christus symbolisiert die schöne Legende von der Anbetung der drei Magier oder "der Weisen aus dem Morgenlande", welche von General Lew Wallace so geschickt in seine schöne Geschichte "Ben Hur" verflochten wurde.

   Die drei Weisen - Kaspar, Melchior und Balthasar - sind die Repräsentanten der weißen, der gelben und der schwarzen Rasse. Sie symbolisieren die Völker von Europa, Asien und Afrika, die der Stern alle zum Welterlöser leitet, vor dem sich einst "jedes Knie beugen muß", und "den jede

  SEITE 389

Zunge bekennen wird", der die verstreuten Nationen unter dem Banner des Friedens und guten Willens vereinigen und veranlassen wird, daß die Menschen "ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Sicheln machen" (Jes. 2,4).

   Der Stern von Bethlehem soll zur Zeit der Geburt Jesu erschienen sein und die drei Weisen zum Erlöser geleitet haben.

   Über die Natur dieses Sterns ist viel spekuliert worden. Die meisten materialistischen Wissenschaftler erklären ihn für einen Mythos. Andere behaupteten wieder, wenn es kein bloßer Mythos gewesen sei, so könnte es ein "zufälliges Zusammentreffen" gewesen sein. Zwei erloschene Sonnen könnten zusammengestoßen sein und einen Riesenbrand verursacht haben. Wie dem auch sei, jeder Mystiker kennt aus seiner Erfahrung den "Stern", ja, auch das "Kreuz", nicht nur als Symbole, die mit dem Leben Jesu und des Christus-Jesus verbunden sind.

   Paulus sagt: "Bis Christus in euch Gestalt annimmt" und der Mystiker Angelus Silesius wiederholt:

    Und wäre Christus tausend Mal in Bethlehem geboren
    Und nicht in dir, ging deine Seele dennoch hier verloren,
    Zum Kreuz auf Golgatha schaust du vergeblich hin,
    Hast du es nicht errichtet in deinem eig'nen Sinn.

Richard Wagner zeigt die intuitive Erkenntnis des Künstlers, wenn auf die Frage Parsifals "Wer ist der Gral?", Gurnemanz antwortet:

    Das sagt sich nicht;
    Doch bist du selbst zu ihm erkoren,
    Bleibt dir die Kunde unverloren.
    Und sieh! - Mich dünkt, daß ich dich recht erkannt:
    Kein Weg führt zu ihm durch das Land,
    Und niemand könnte ihn beschreiben,
    Den er nicht selber möcht geleiten.

   Unter dem "Alten Glaubenssystem" war der Weg zur Einweihung nicht frei. Er war nur für einige Auserwählte

  SEITE 390

gangbar. Manche suchten wohl den Pfad, aber nur, wer durch die Hierophanten zum Tempel geleitet wurde, fand Eintritt. Vor der Ankunft Christi gab es keine allumfassende Einladung "Kommt her zu mir alle .....".

   In dem Augenblick, als das Blut auf Golgatha floß, "zerriß der Vorhang im Tempel" (aus Gründen, die sogleich erklärt werden sollen), und wer seit dieser Zeit Zulassung sucht, wird sie sicherlich finden.

   In den Mysterientempeln lehrten die Hierophanten, daß in der Sonne sowohl eine geistige wie eine physische Kraft sei. Die physische Kraft in den Sonnenstrahlen ist das befruch- tende Prinzip der Natur. Sie ruft das Wachstum der Pflanzen hervor und erhält dadurch das Tierreich und die Menschheit. Sie ist die aufbauende Energie, welche die Quelle aller physischen Kraft ist.

   Diese physische Sonnenenergie erreicht ihren höchsten Ausdruck in der Mitte des Sommers um die Sonnenwende, wenn die Tage am längsten und die Nächte am kürzesten sind, weil die Sonnenstrahlen dann gerade auf die nördliche Halbkugel fallen. Zu dieser Zeit sind die geistigen Kräfte am untätigsten.

   Andererseits schlummert im Dezember während der langen Winternächte die physische Kraft der Sonnenstrahlen, und die geistigen Kräfte erreichen ihren Höhepunkt.

   Die Nacht zwischen dem 24. und 25. Dezember ist - in höchster Vollendung - die "heiligste Nacht" des ganzen Jahres. Das Himmelszeichen der unbefleckten himmlischen Jungfrau steht nahe Mitternacht über dem östlichen Horizont. Die Sonne des neuen Jahres wird geboren und beginnt ihre Reise vom Südpunkt gegen die nördliche Hemisphäre, um diesen Teil der Menschheit (physisch) vor Dunkelheit und Hungersnot zu befreien, die unausweichlich eintreten müßten, würde die Sonne südlich vom Äquator bleiben.

   Für die Völker unserer nördlichen Erdhälfte, auf der alle unsere gegenwärtigen Religionen entstanden, ist die Sonne

  SEITE 391

unmittelbar unter der Erde, und die geistigen Einflüsse sind im Norden um Mitternacht des 24. Dezembers am stärksten.

   Deshalb ist es erklärlich, daß es für die, welche sich endgültig entschlossen haben, Schritte zur Erreichung der Einweihung zu unternehmen, zu dieser Zeit am leichtesten ist, in bewußte Berührung mit der geistigen Sonne zu kommen, besonders wenn diese Berührung zum ersten Mal gesucht wird.

   Darum wurden (in dieser Nacht) die Schüler, welche zur Einweihung bereit waren, von den Hierophanten der Mysterien in ihre Obhut genommen. Durch Tempelzeremonien wurden sie in einen Zustand der Erhebung versetzt, in dem sie die physischen Zustände durchbrachen. Für ihre geistige Schau wurde die feste Erde durchsichtig, und sie sahen zur Mitternacht die Sonne - "Den Stern". Es war nicht die physische Sonne, die sie mit geistigen Augen sahen, sie erschauten den Geist in der Sonne, den Christus, ihren geistigen Erlöser, so wie die physische Sonne ihr physischer Erlöser ist.

   Dies ist der Stern, welcher in der heiligen Nacht schien und dem Mystiker in der Dunkelheit der Nacht noch scheint. Wenn der Lärm und die Wirrnis der physischen Tätigkeit sich gelegt und beruhigt haben, tritt der Mystiker in seine Kammer und sucht den Weg zum Friedenskönig. Der leuchtende Stern ist immer da, um ihn zu führen, und seine Seele hört den prophetischen Gesang: "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."

   Friede und Wohlgefallen für alle ohne Ausnahme! Es ist kein Raum mehr für Feindschaft oder Ausgestoßensein! Ist es ein Wunder, daß die Menschheit so schwer zu diesem hohen Ideal zu erziehen ist? Gibt es einen besseren Beweis für die Schönheit und Notwendigkeit von Frieden, Wohlgefallen und Liebe als den Vergleich mit dem gegenwärtigen Zustand des Krieges, der Selbstsucht und des Hasses? (1909)

   Je stärker das Licht ist, um so tiefere Schatten wirft es. Je höher unsere Ideale sind, desto klarer sehen wir unsere Fehltritte.

  SEITE 392

   Leider lernt die Menschheit in ihrem gegenwärtigen Entwicklungszustand nur durch die härtesten Erfahrungen. Als Rasse muß sie absolut eigennützig werden, damit sie die bitteren Schmerzen kennenlernt, die durch die Selbstsucht der anderen erzeugt werden, so wie man Krankheit kennen muß, um für Gesundheit dankbar sein zu können.

   Die Religion, die unrechtmäßig Christentum genannt wurde, ist daher die blutigste der bekannten Religionen geworden, den Mohammedanismus nicht ausgenommen, der in dieser Hinsicht an unser schlecht ausgeübtes Christentum erinnert. Auf dem Schlachtfeld und durch die Inquisition sind im Namen des edlen Nazareners unzählige Greueltaten verübt worden.

   Das Schwert und der Weinpokal, der Mißbrauch von Kreuz und Abendmahlkelch, waren die Mittel, durch welche die mächtigsten der sogenannten christlichen Nationen Herrschaft über die heidnischen Völker gewannen und selbst über die christlichen Völker, die schwächer als ihre Eroberer waren. Der flüchtigste Überblick über die Geschichte der griechisch-lateinischen, teutonischen und angelsächsischen Völkerrassen wird dies bestätigen.

   Als der Mensch unter der vollen Herrschaft der Rassenreligionen stand, war jedes Volk ein ungeteiltes Ganzes. Persönliche Interessen wurden den Interessen der Gesamtheit bereitwillig untergeordnet. Alle standen "unter dem Gesetz". Alle waren in erster Linie Mitglieder ihrer betreffenden Stämme, in zweiter Linie Individuen.

   Gegenwärtig wird das andere Extrem erstrebt. Das "Selbst" wird über alles andere erhoben. Das Ergebnis zeigt sich in den ökonomischen und industriellen Problemen, denen alle Nationen gegenüberstehen, und die nach Lösung verlangen.

   Der Entwicklungszustand, in dem jeder Mensch sich als völlig getrennte Einheit, als ein Ego, fühlt und allein seinen eigenen Weg verfolgt, ist ein notwendiger Übergangszustand. Die Einheit der Nation, des Stammes und der Familie muß zuerst aufgelöst werden, ehe die universelle Bruderschaft zur

  SEITE 393

Tatsache werden kann. Das Regime väterlicher Fürsorge ist von der Herrschaft des Individualismus weitgehend verdrängt worden.

   Wir lernen mit dem Fortschritt unserer Zivilisation deren Übel immer besser erkennen. Die unsystematische Methode der Arbeitsverteilung, Raubgier der einzelnen und die Ausbeutung der Massen, diese sozialen Vergehen erzeugen Unterversorgung, industrielle Entwertungen und Arbeitsstörungen, die den inneren Frieden trüben. Der Industriekrieg unserer Tage ist viel weitgehender und zerstörender als die militärischen Kriege der Nationen (1909).

Das Herz als eine Anomalie

   Keine Belehrung ist von wirklichem Wert und kann als tätiges Lebensprinzip wirksam werden, auch wenn man ihre Wahrheit oberflächlich anerkennt, ehe das Herz sie in Sehnen und Bitterkeit erfaßt hat. Die Lehre, welche der Mensch auf diese Weise erlernen muß, ist, daß alles, was nicht allen zum Segen werden kann, nie in Wahrheit einem einzelnen bekömmlich ist. Nahezu 2000 Jahre lang haben wir dem Grundsatz, daß wir "Böses mit Gutem vergelten" sollen, in Worten wohl leichtfertig zugestimmt. Das Herz verlangt nach Barmherzigkeit und Liebe, aber der Verstand begehrt Streit und Wiedervergeltung. Sucht er keine Rache, so sucht er doch wenigstens nach einem Mittel, das eine Wiederholung von Feindseligkeiten verhindern soll. Dieser Zwiespalt zwischen Herz und Kopf hindert das Wachstum eines echten Gefühls für allgemeine Bruderschaft und hindert die Annahme der Lehren Christi, des Herrn der Liebe.

   Der Intellekt ist der Brennpunkt, durch den das Ego sich der materiellen Welt bewußt wird. Als ein Instrument zur Erwerbung von Kenntnissen in jenen Reichen ist der Intellekt unschätzbar. Doch wenn er sich die Rolle eines Diktators anmaßt oder es übernimmt, die Beziehungen von Mensch zu Mensch zu regeln, so ist es, als sage eine Linse

  SEITE 394

  zum Astronomen, der eben im Begriff ist, die Sonne durch ein Teleskop zu fotografieren: "Sie haben mich schlecht eingestellt. Sie sehen nicht richtig auf die Sonne. Ich glaube überhaupt nicht, daß es gut ist, die Sonne zu fotografieren, und ich wünsche, daß Sie mich auf den Jupiter einstellen. Die Sonnenstrahlen erhitzen mich zu sehr und könnten mir leicht schaden."

   Wenn der Astronom seinen Willen durchsetzt und das Teleskop so einstellt, wie er es wünscht, und ihm - seiner Aufgabe entsprechend - befiehlt, die Sonnenstrahlen, welche es treffen, zu übertragen, dabei aber ihm den Erfolg zu überlassen, so wird die Arbeit gelingen. Doch wenn die Linse ihren Willen durchsetzen könnte und der Mechanismus des Teleskops sich mit ihr verbündete, würde der Astronom ernstlich aufgehalten werden. Er müßte mit einem widerspenstigen Instrument kämpfen und bekäme verdorbene Bilder von geringem oder gar keinem Wert.

   So ist es auch mit dem Ego. Es arbeitet in einem dreifachen Körper, den es durch den Intellekt beherrscht oder wenigstens beherrschen sollte. Leider muß jedoch gesagt werden, daß dieser Körper einen eigenen Willen besitzt und oft durch den Intellekt Hilfe und Beistand erhält, wodurch die Absichten des Ego vereitelt werden.

   Dieser antagonistische "niedere Wille" ist ein Ausdruck des höheren Teiles des Empfindungsleibes. Als am Anfang der lemurischen Epoche die Trennung von Sonne, Mond und Erde stattfand, ging im fortgeschritteneren Teil der werdenden Menschheit eine Trennung des Empfindungsleibes in einen höheren und in einen niederen Teil vor sich. Im Rest der Menschheit erging es ebenso im frühen Teil der atlantischen Epoche.

   Dieser höhere Teil des Empfindungsleibes wurde zu einer Art Tierseele. Er erbaute das zerebrospinale Nervensystem und die willkürlichen Muskeln und beherrschte durch diese Mittel die niederen Teile des dreifachen Körpers, bis schließlich das Bindeglied, der Intellekt, gegeben wurde.

  SEITE 395

Dann vereinigte sich der Intellekt mit dieser Tierseele und wurde zu einem Mitregenten.

   So ist der Intellekt an die Begierde gebunden. Er ist in die selbstsüchtige, niedere Natur verstrickt, und das macht es dem Geist schwer, den Körper zu beherrschen. Der als ein Brennpunkt wirkende Intellekt, welcher der Verbündete der höheren Natur sein sollte, wird ihr durch die niedere Natur entfremdet, wenn er sich mit letzterer verbündet und somit Sklave der Begierde ist.

   Das Gesetz der Rassenreligion sollte den Intellekt von der Begierde befreien. Die "Gottesfurcht" wurde den "Begierden des Fleisches" entgegengestellt. Das genügte aber immer noch nicht, um die Herrschaft über den Körper zu erlangen und sich seine willige Mitarbeit zu sichern. Der Geist benötigte im Körper einen anderen Stützpunkt, der nicht unter der Herrschaft der Begierdennatur stand. Alle Muskeln sind ein Ausdruck der Begierdennatur. Sie sind eine gerade Straße zur Stätte, an welcher der verräterische Intellekt mit der Begierde vermählt ist und herrscht.

   Wenn die Vereinigten Staaten mit Frankreich Krieg führten, so würden sie ihre Truppen nicht in England landen und hoffen, auf diese Weise Frankreich zu unterwerfen. Sie würden ihre Truppen unmittelbar in Frankreich landen und hier kämpfen.

   Wie ein weiser General folgte das Ego einem gleichen Operationsplan. Es begann seinen Feldzug nicht, indem es seine Herrschaft auf eine der Drüsen ausdehnte, denn diese sind Ausdruck des Lebensleibes. Auch war es nicht möglich, die Herrschaft über die willkürlichen Muskeln zu erlangen, denn diese sind durch den Feind zu gut organisiert. Auch der Teil des unwillkürlichen Muskelsystems, der durch das ganze sympathische Nervensystem gelenkt wird, wäre für seine Zwecke nutzlos. Es mußte in unmittelbare Berührung mit dem zerebrospinalen (Gehirn-Rückenmark-) Nervensystem kommen. Um dieses zu erreichen und sich einen Operations- grund im feindlichen Land zu sichern, mußte es einen Muskel beherrschen, der unwillkürlich ist und dennoch mit

  SEITE 396

dem willkürlichen Nervensystem in Verbindung steht. Ein solcher Muskel ist das Herz.

   Wir haben schon früher von zwei Arten der Muskeln, den willkürlichen und den unwillkürlichen, gesprochen. Die letzteren sind längsgestreift und stehen mit Tätigkeiten in Verbindung, die nicht unter der Herrschaft des Willens stehen, wie jene der Verdauung, der Atmung, der Ausscheidung usw. Die willkürlichen Muskeln sind die, welche vom Willen durch das willkürliche Nervensystem beherrscht werden, z.B. die Muskeln der Hände und Arme. Sie sind in beiden Seiten, längs- und quer-gestreift. Dies gilt von allen Muskeln des Körpers mit Ausnahme des Herzens, das ein unwillkürlicher Muskel ist. Gewöhnlich haben wir keine Gewalt über die Zirkulation des Blutes und die Zahl der Herzschläge. Und doch ist, zum Erstaunen der Physiologen, das Herz ein quer-gestreifter Muskel, als ob es ein willkürlicher Muskel wäre. Es ist das einzige Organ des Körpers, das diese Eigentümlichkeit aufweist. Es verweigert aber gleich einer Sphinx dem Materialisten die Lösung dieses Rätsels.

   Der okkulte Wissenschaftler findet die Antwort leicht im Gedächtnis der Natur. Aus diesem Bericht erfährt er, daß das Ego zuerst einen Stützpunkt im Herzen suchte, und daß dieses damals nur längsgestreift war, wie alle unwillkürlichen Muskeln. Aber als das Ego das Herz mehr und mehr in seine Gewalt bekam, entwickelten sich allmählich Querstreifen. Sie sind nicht so zahlreich und nicht so gut entwickelt wie bei den Muskeln, die unter der vollen Herrschaft des Empfindungsleibes stehen. Wenn aber das altruistische Gefühl der Liebe und Bruderschaft an Stärke zunimmt und nach und nach die Oberherrschaft über die Vernunft gewinnt, welche in der Begierde begründet ist, werden diese Querstreifen zahlreicher werden und sich deutlicher ausprägen. Wie bereits gesagt, sitzt das Keimatom des dichten Körpers im Herzen und verbleibt dort während des Lebens. Erst beim Tod wird es zurückgezogen. Die aktive Arbeit des Ego ist im Blut. Nun ist, wenn wir die Lunge davon ausnehmen, das

  SEITE 397

Herz das einzige Organ des Körpers, durch das während eines Kreislaufes das gesamte Blut strömt.

   Das Blut ist der höchste Ausdruck des Lebensleibes, denn es ernährt den gesamten physischen Organismus. Es ist im gewissen Sinn auch ein Träger des unterbewußten Gedächtnisses. Es steht mit dem Gedächtnis der Natur in inniger Berührung, welches in der höchsten Ätherzone liegt. Das Blut trägt die Lebensbilder aus dem Leben der Vorfahren durch ganze Generationen hindurch zu den Nachkommen, in denen gemeinsames Blut fließt, wie es durch die Inzucht erzeugt wird.

   Im Kopf befinden sich drei Punkte, jeder von ihnen ist der gesonderte Sitz eines der drei Aspekte des Geistes (siehe Diagramm 17). Der zweite und der dritte Aspekt haben außerdem eine sekundäre, günstige Ausgangsstellung. Der Empfindungsleib ist der umgekehrte Ausdruck des Ego. Er verkehrt die "Selbstheit" des Geistes in "Selbstsucht". Selbstheit trachtet nicht nach Vorteil auf Kosten der anderen. Die Selbstsucht hingegen sucht den Gewinn ohne Rücksicht auf die anderen. Der Sitz des menschlichen Geistes ist in erster Linie in der Zirbeldrüse, in zweiter Linie im Gehirn und im zerebrospinalen Nervensystem, das die willkürlichen Muskeln beherrscht.

   Die Liebe und die Einheit in der Welt des Lebensgeistes finden ihr illusorisches (täuschendes) Gegenstück in der Ätherregion, mit welcher wir durch den Lebensleib verbunden sind, den Förderer der geschlechtlichen Liebe und der geschlechtlichen Vereinigung. Der Lebensgeist hat seinen Sitz in erster Linie im Hirnanhang (Hypophyse) und in zweiter Linie im Herzen, das der Torweg für das Blut, des Ernährers der Muskeln ist.

   Der nicht aktive göttliche Geist, der stille Wächter, findet seinen materiellen Ausdruck im passiven, beharrlichen und reaktionslosen Skelett des dichten Körpers, dem gehorsamen Instrument der übrigen Körper, das jedoch keine Gewalt hat, um aus sich selbst heraus zu handeln. Der göttliche Geist hat seinen Stützpunkt im undurchdringbaren Punkt an der Nasenwurzel.

  SEITE 398

   In Wahrheit gibt es nur einen Geist, das Ego. Wenn man es aber von der physischen Welt aus betrachtet, zerteilt es sich in drei Aspekte, die in der erklärten Weise wirken. Während das Blut, Kreislauf um Kreislauf, Stunde um Stunde, das ganze Leben lang durch das Herz pulsiert, graviert es die enthaltenen Bilder, solange sie noch frisch sind, in das Keimatom ein. Es bildet so einen getreuen Bericht des Lebens, welcher der Seele im Zustand nach dem Tod unauslöschlich eingeprägt wird. Das Blut befindet sich mit dem Lebensgeist unentwegt in engster Berührung, dem Geist der Liebe und der Einheit. Daher ist das Herz die Heimat der altruistischen Liebe.

   Da diese Bilder in die Welt des Lebensgeistes eingehen, in der das wahre Gedächtnis der Natur liegt, durchlaufen sie nicht die langsamen physischen Sinne, sondern gelangen direkt in den vierten Äther, welcher in der von uns eingeatmeten Luft enthalten ist. In der Welt des Lebensgeistes sieht der Lebensgeist viel klarer, als ihm dies in den dichteren Welten möglich ist. In seiner hohen Heimat ist er mit der kosmischen Weisheit in Berührung und weiß in jeder Lage sofort, was zu tun ist, und sendet die Botschaft, welche ein rechtes Handeln anregen soll, zum Herzen zurück, das diese augenblicklich über den pneumogastrischen Nerv an das Gehirn als "ersten Eindruck" weiterleitet, als den intuitiven Impuls, der immer gut ist, da er direkt dem Quell der kosmischen Weisheit und Liebe entströmt.

   Dies geschieht so schnell, damit sich das Herz die Macht behält, ehe der langsamere Verstand Zeit hat, die "Situation zu erfassen". Es ist wahr, daß der Mensch "so ist", wie der "Gedanke in seinem Herzen". Der Mensch ist von Natur aus ein jungfräulicher Geist: gut, edel und wahr in jeder Hinsicht. Alles, was nicht gut ist, kommt aus der niederen Natur, dieser illusorischen Spiegelung des Ego. Der jungfräuliche Geist beschenkt uns immer mit seinem weisen Rat. Wenn wir nur dem Impuls des Herzens, dem ersten Gedanken, folgen würden, so wäre die allgemeine Bruderschaft jetzt und hier bereits verwirklicht.

  SEITE 399

   Aber gerade das ist der Punkt, an dem die Schwierigkeit beginnt. Nach dem guten Rat des ersten Gedankens beginnt das Gehirn nachzudenken, in den meisten Fällen mit dem Ergebnis, daß das Herz besiegt wird. Das Teleskop stellt seinen eigenen Brennpunkt ein und richtet sich nach ihm unter Mißachtung des Astronomen. Der Intellekt und der Empfindungsleib durchkreuzen die Pläne des Geistes, indem sie die Herrschaft übernehmen, und wenn ihnen geistige Weisheit fehlt, leiden beide, Geist und Körper.

   Die Physiologen haben festgestellt, daß verschiedenen Gebieten des Gehirns besondere Denktätigkeiten zugewiesen werden, und die Phrenologen haben diesen Wissenszweig noch weiter ausgebaut. Nun ist bekannt, daß das Denken Nervengewebe niederreißt und es zerstört. Diese und alle anderen Abfälle des Körpers werden durch das Blut ersetzt. Wenn durch die Entwicklung des Herzens zu einem willkürlichen Muskel die Blutzirkulation endlich unter die absolute Herrschaft des einigenden Lebensgeistes, des Geistes der Liebe, gelangen wird, so wird es in der Macht des Geistes liegen, das Blut von den Gehirnpartien fernzuhalten, die selbstsüchtigen Zwecken dienen. Die Folge davon wird ein stufenweises Verkümmern dieser Denkzentren sein.

   Andererseits wird es dem Geist möglich werden, den Blutzufluß zu verstärken, wenn die mentale Tätigkeit eine altruistische geworden ist. So werden die Gebiete, die dem Altruismus dienen, aufgebaut werden. Dadurch wird mit der Zeit die Begierdennatur besiegt und der Intellekt durch die Liebe aus seiner Begierden-Knechtschaft befreit werden. Nur die vollständige Befreiung durch die Liebe kann den Menschen vom Gesetz erlösen und ihn zu seinem eigenen Gesetz machen. Wenn er sich selbst besiegt haben wird, wird er die ganze Welt besiegen.

   Die Querstreifen des Herzens können durch gewisse okkulte Übungen aufgebaut werden. Aber da einige dieser Übungen gefährlich sind, soll man sie nur unter der Aufsicht eines berufenen Lehrers üben.

   Damit kein Leser dieses Buches durch Betrüger verführt werde, die sich für fähig und bereit erklären, Suchende in

  SEITE 400

diesen Übungen zu unterrichten, sei noch einmal wiederholt, daß kein wahrer Okkultist sich jemals rühmt, ein solcher zu sein oder seine okkulten Kräfte durch irgendwelche Reklame ankündigt. Er verkauft seine okkulten Informationen oder Lektionen nicht zu einer bestimmten Beratungs- oder Kursgebühr. Seine Arbeit wird in einer Weise verrichtet, die so unaufdringlich wie möglich ist. Er gibt sich nicht zu theatralischen Schaustellungen her. Er tut sie einzig zu dem Zweck, anderen zu helfen, ohne dabei an sich selbst zu denken.

   Wie am Anfang dieses Kapitels gesagt wurde, können alle Menschen, die ernsthaft nach höherem Wissen streben, sicher sein, daß sie, wenn sie nur suchen wollen, den Weg offen finden werden. Christus selbst bereitete den Weg "für alle, die eines guten Willens sind", vor. Er wird allen wahrhaft Suchenden helfen und sie willkommen heißen, wenn sie willens sind, an der allgemeinen Bruderschaft zu wirken.

Das Mysterium von Golgatha

   Während der letzten zweitausend Jahre ist viel über das "reinigende Blut" gesagt worden. Das Blut Christi ist von der Kanzel als überlegenes Heilmittel für alle Sünden ausgerufen worden, als das einzige Mittel für Sühne und Erlösung.

   Wenn die Gesetze der Wiedergeburt und der Ursache und Wirkung so arbeiten, daß die sich entwickelnden Wesen das ernten, was sie säen, wenn der Evolutionsimpuls die Menschheit immer höher und höher der endlichen Vervollkommnung entgegenführt, wozu dient dann das Bedürfnis nach Erlösung und Sühne? Und selbst, wenn diese Notwendigkeit besteht, wie kann der Tod eines einzigen Individuums allen übrigen helfen? Wäre es nicht edler, die Folgen seiner Tat zu tragen, als sich hinter einem anderen zu verbergen?

   Das sind einige der Einwände gegen die Lehre vom stellvertretenden Opfer und von der Sühne durch das Blut des Christus Jesus. Wir wollen versuchen, sie zu beantwor-

  SEITE 401

ten, ehe wir die logische Übereinstimmung zwischen den Auswirkungen des Gesetzes von Ursache und Wirkung und dem Sühneopfer behandeln.

   Es entspricht vor allem vollkommen der Wahrheit, daß der Evolutionsimpuls daran arbeitet, daß alle endlich die Vervollkommnung erzielen. Dennoch bleiben immer einige zurück. Wir haben eben den äußersten Punkt des Materialismus hinter uns und durchschreiten die sechzehn Rassen. Wir befinden uns auf den "sechzehn Pfaden der Vernichtung" und sind daher in ernsterer Gefahr zurückzubleiben, als an anderen Punkten der Evolutionsreise.

   Im Abstrakten ist die Zeit nichts. Eine Anzahl von Wesen kann so weit zurückbleiben, daß sie von ihrer Lebenswoge im Stich gelassen werden müssen. Sie nehmen ihre Entwicklung in einem anderen Evolutionsplan wieder auf, in dem sie ihre Wanderschaft zur Vervollkommnung fortsetzen können. Und dennoch war das nicht die ursprünglich für sie bestimmte Evolution. Es ist aber vernunftgemäß anzunehmen, daß die erhabenen Intelligenzen, denen unsere Entwicklung anvertraut ist, jedes Mittel anwenden, um so viel wie möglich der sich unter ihrer Fürsorge befindlichen Wesen in Sicherheit zu bringen.

   In der gewöhnlichen Evolution genügt das Gesetz der Wiedergeburt und der Ursache und Wirkung vollkommen, um den größten Teil der Lebenswoge der Vollendung zuzuführen. Doch für die Nachzügler, die in den verschiedenen Rassen zurückbleiben, genügt dieses Gesetz nicht. Während des Stadiums des Individualismus, der den Höhepunkt der Illusion des Getrenntseins darstellt, benötigte die ganze Menschheit eine spezielle Hilfe, für die Nachzügler jedoch mußte noch eine außerordentliche Hilfe eingesetzt werden.

   Nachzüglern diese besondere Hilfe zu geben, sie zu erlösen, war die Mission Christi. Er sagt, daß er gekommen sei, um alle, die verloren waren, zu suchen und zu retten. Er öffnete allen den Weg der Einweihung, die willens sind, ihn zu betreten. Gegner der stellvertretenden Sühne wenden ein,

  SEITE 402

es sei feige, sich hinter einem anderen zu verbergen. Jeder Mensch muß die Folgen seiner Handlungsweise tragen.

   Betrachten wir einen analogen Fall. Die Wasser der großen amerikanischen Seen sammeln sich im Niagarastrom. Durch rund 32 km fließt diese mächtige Wassermenge mit großer Geschwindigkeit dem Niagara Fall zu. Das Flußbett ist voller Felsen, und würde ein Mensch weiter als bis zu einem bestimmten Punkt vordringen und sein Leben nicht schon in den Stromschnellen oberhalb des Kataraktes verlieren, so würde er es bestimmt durch einen Sturz über dessen Rand einbüßen.

   Nehmen wir an, ein Mensch würde aus Mitleid für die Opfer des Stromes ein Seil über den Katarakt spannen. Obwohl er weiß, daß er durch dieses Unternehmen dem sicheren Tod entgegengeht, opfert er sein Leben freudig und aus eigenem, freiem Willen. Er spannt das Seil und verändert dadurch die früheren Bedingungen. Die sonst hilflosen Opfer könnten dann das Seil ergreifen und gerettet werden und müßten nicht verlorengehen.

   Was hielten wir von einem Menschen, der durch seine eigene Sorglosigkeit ins Wasser fiel, mit aller Kraft kämpft, um das Ufer zu erreichen, und dabei denkt: "Was! Ich soll mich retten und der Strafe für meine Sorglosigkeit dadurch zu entgehen suchen, daß ich mich durch die Stärke eines anderen schütze, der nicht infolge seines eigenen Fehltrittes litt, sondern der sein Leben hingab, damit ich leben kann? Nein, niemals! Das wäre nicht 'männlich'. Ich will tragen, was ich verdiene." Wäre das nicht töricht?

   Nicht alle benötigen eine solche Erlösung. Christus wußte wohl, daß viele nicht in diesem Sinne Erlösung nötig haben. Ebenso, wie es neunundneunzig geben mag, die in der Hut des Gesetzes von Ursache und Wirkung stehen und auf diese Weise zur Vollkommenheit gelangen, gibt es auch "Sünder", die in der Materie versanken und nicht ohne Seil entkommen können. Christus kam, um sie zu erlösen, um allen Frieden

  SEITE 403

und Wohlgefallen zu bringen, indem er sie zu der notwendigen Geistigkeit emporhob, eine Änderung in ihren Empfindungskörpern hervorrief und so den Einfluß des Lebensgeistes in ihren Herzen wirksamer machte.

   Seine jüngeren Brüder, die Sonnengeister, die Erzengel, hatten am Empfindungsleib des Menschen als Rassengeister gearbeitet, doch geschah ihre Arbeit von außen. Sie war nur reflektierte Sonnenkraft und kam durch den Mond, wie das Mondlicht reflektiertes Sonnenlicht ist. Christus, der höchste Eingeweihte der Sonnenperiode, trat in den physischen Körper der Erde ein und brachte ihr die unmittelbare Sonnenkraft. Dadurch beeinflußte er unseren Empfindungsleib von innen.

   Der Mensch kann nicht lange in die Sonne blicken, ohne zu erblinden, da die Schwingungen so schnell sind, daß sie die Netzhaut des Auges zerstören. Er kann aber ohne böse Folgen in den Mond schauen, dessen Schwingungen viel langsamer, aber auch Sonnenlicht sind. Die höheren Sonnenschwingungen werden in diesem Fall vom Mond aufgenommen, der dann den Rest zu uns reflektiert.

   Ebenso ist es mit den geistigen Impulsen, die dem Menschen bei seiner Entwicklung helfen. Unsere Erde wurde von der Sonne abgestoßen, weil unsere Menschheit die gewaltigen physischen und geistigen Impulse der Sonne nicht ertragen konnte. Selbst nachdem zwischen Erde und Sonne ein ungeheurer Abstand gesetzt worden war, wäre der geistige Impuls noch zu stark gewesen, wenn er nicht zuerst dem Mond zugeleitet worden wäre, damit Jehova, der Herrscher des Mondes, ihn zum Besten des Menschen verwende. Eine Anzahl von Erzengeln (die durchschnittlichen Sonnengeister) standen Jehova als Helfer bei. Von der Sonne reflektierten sie diese geistigen Impulse auf die Menschheit in Form von jehovistischen oder Rassen-Religionen.

   Der niederste Träger der Erzengel ist der Empfindungsleib. Unser Empfindungsleib wurde in der Mondperiode hinzugefügt, während der Jehova der höchste Eingeweihte war.

  SEITE 404

Darum kann er (Jehova) durch den Empfindungsleib des Menschen wirken. Sein niederster Träger ist der menschliche Geist (siehe Diagramm 14), und dessen Gegenstück der Empfindungsleib. Die Erzengel sind seine Helfer, da sie fähig sind, die Sonnenkräfte zu verwerten und der Empfindungsleib ihr niederster Träger ist. So können sie mit der Menschheit arbeiten und sie für die Zeit vorbereiten, in der sie in der Lage sein wird, die geistigen Impulse direkt von der Sonnenstrahlung und ohne Mittlerschaft des Mondes zu empfangen.

   Christus, dem höchsten Eingeweihten der Sonnenperiode, fällt die Aufgabe zu, diesen Impuls auszusenden. Der Impuls, den Jehova reflektiert, wurde von Christus ausgesandt, der so beide, Erde und Menschheit, für seinen unmittelbaren Eintritt vorbereitete.

   Der Ausdruck "die Erde vorbereitet" bedeutet, daß jede Entwicklung auf einem Planeten Hand in Hand mit der Evolution dieses Planeten selbst vor sich geht. Hätte ein mit geistiger Sicht begabter Beobachter die Entwicklung unserer Erde von einem entfernten Stern aus verfolgen können, würde er die stufenweisen Veränderungen in ihrem Empfindungsleib wahrgenommen haben.

   Unter dem alten Glaubenssystem wurden die Empfindungskörper der Menschen im allgemeinen mit Hilfe der Gesetze verbessert. Diese Arbeit wird bei den meisten Menschen noch fortgesetzt, um sie auf diese Weise für das höhere Leben vorzubereiten.

   Doch das höhere Leben (die Einweihung) beginnt nicht eher, als bis die Arbeit am Lebensleib einsetzt. Das Mittel, um diese Tätigkeit einzuleiten, ist die Liebe, besser gesagt, der Altruismus. Das Wort "Liebe" ist so stark mißbraucht worden, daß es nicht mehr das, was hier gemeint ist, zum Ausdruck bringt.

   Zur Zeit des alten Testaments war der Pfad der Einweihung nicht frei und offen, mit Ausnahme für einige Auserwählte. Die Hierophanten der Mysterien sammelten um die Tempel gewisse Familien und isolierten sie von dem übrigen Volk.

  SEITE 405

Diese auserwählten Familien wurden dann streng zur Einhaltung verschiedener Riten und Zeremonien angehalten. Heiraten und geschlechtlicher Verkehr wurde durch die Hierophanten geregelt.

   Dies geschah zu dem Zweck, eine Rasse hervorzubringen, bei der die Verbindung zwischen dem dichten Körper und dem Lebensleib im richtigen Maß gelockert war. Der lethargische Zustand des Empfindungsleibes wurde während des Schlafes aufgehoben. So wurden nur einige wenige zur Einweihung vorbereitet. Sie erhielten Gelegenheiten, die nicht allen geboten werden konnten. Unter den Juden z.B. waren die Leviten die auserwählten Tempelhüter. Unter den Hindus war die Kaste der Brahminen die einzige Priesterklasse.

   Christus sollte durch Seine Mission nicht nur die Verlorenen retten, sondern Er sollte auch die Einweihung allen möglich machen. Darum war Jesus kein Levit, kein Angehöriger der Klasse, die Priesterschaft als Erbrecht erhielt. Er kam aus dem Volk, und obwohl Er nicht der Klasse der Lehrer angehörte, waren Seine Lehren höher als die des Moses. Christus-Jesus leugnete weder Moses noch das Gesetz und die Propheten. Im Gegenteil, Er erkannte sie an und führte sie als seine Zeugen an, weil sie alle auf einen hinwiesen, der da kommen sollte. Er sagte dem Volk, daß jene Formen ihren Zweck erfüllt hatten, und daß nun die Liebe an die Stelle des Gesetzes treten muß.

   Christus-Jesus wurde getötet. In Verbindung mit dieser Tatsache kommen wir zu dem größten und fundamentalen Unterschied zwischen Ihm und den früheren Lehren, in denen die Rassengeister geboren waren. Sie alle starben und mußten, um ihrem Volk weiter sein Schicksal tragen zu helfen, immer von neuem wiedergeboren werden. Der Erzengel Michael (der Rassengeist der Juden) erweckte Moses, der auf den Berg Nebo geführt wurde, um zu sterben; er wurde als Elias wiedergeboren. Elias kehrte als Johannes der Täufer wieder. Buddha starb und wurde als Sankaracha-

  SEITE 406

rya wiedergeboren. Shri Krischna sagt: "Wenn immer Verfall in Dharma ist ...... und ...... Erhebung von Adharma, dann komme ich selbst hervor, um das Gute zu beschirmen, um die Übeltäter zu vernichten, damit Dharma fest errichtet werde. Ich werde geboren von Zeitalter zu Zeitalter."

   Als der Tod kam, strahlte das Gesicht Moses, und Buddhas Körper wurde leuchtend. Sie alle erreichten jenen Zustand, in dem der Geist von innen zu leuchten beginnt, dann aber starben sie.

   Christus-Jesus erreichte diesen Zustand auf dem Berg der Verklärung (Transfiguration). Es ist von höchster Bedeutung, daß sein wirkliches Werk nach diesem Ereignis stattfand. Er litt, wurde getötet und ist auferstanden.

   Getötet werden ist sehr verschieden vom Sterben. Das Blut, das der Träger des Rassengeistes gewesen war, mußte fließen und wurde von diesem befleckenden Einfluß gereinigt. Die Liebe zu Vater und Mutter unter Ausschluß anderer Väter und Mütter muß schwinden, sonst kann die allgemeine Bruderschaft und eine allumfassende altruistische Liebe niemals Wirklichkeit werden.

Das reinigende Blut

   Bei der Kreuzigung des Erlösers Christus-Jesus wurde sein Körper an fünf Stellen durchbohrt, an den fünf Zentren, an denen die Ströme des Lebensleibes fließen, und der Druck der Dornenkrone verursachte auch ein Fließen des Blutes aus dem sechsten Zentrum. (Dies ist ein Hinweis für jene, die diese Ströme schon kennen. Eine vollständige Aufklärung hierüber kann öffentlich noch nicht gegeben werden.)

   Als das Blut aus diesen Zentren floß, wurde der große Sonnengeist Christus vom dichten Träger des Jesus befreit und befand sich mit seinen individuellen Trägern in der Erde. Er durchdrang die bereits bestehenden planetarischen

  SEITE 407

Träger mit seinen eigenen Trägern und breitete innerhalb eines Augenblickes seinen eigenen Empfindungsleib über den Planeten aus. Das ermöglichte ihm, an der Erde und ihrer Menschheit von innen her zu arbeiten.

   In diesem Augenblick überflutete eine riesige Woge geistigen Sonnenlichts die Erde. Diese zerriß den Vorhang, den der Rassengeist vor den Tempel gehängt hatte, um alle, außer den wenigen Erwählten, auszuschließen. Seit dieser Zeit öffnete sie den Pfad der Einweihung für alle, die ihn betreten wollen. Diese Woge formte die geistigen Bedingungen der Erde wie ein Blitzstrahl um. Doch die dichten, konkreten Bedingungen werden natürlich viel langsamer beeinflußt.

   Wie alle schnellen und hohen Lichtschwingungen blendete diese große Woge das Volk durch seine übernatürliche Helligkeit. Daher hieß es, daß "die Sonne verdunkelt wurde". Das Gegenteil war aber der Fall. Die Sonne war nicht verdunkelt, sondern erstrahlte in glorreicher Pracht. Das Übermaß an Licht blendete das Volk, und erst als die ganze Erde den Empfindungsleib des strahlenden Sonnengeistes aufgenommen hatte, kehrten die Schwingungen in einen normaleren Zustand zurück.

   Der Ausdruck "das reinigende Blut Jesu Christi" bedeutet, daß das Blut, welches auf Golgatha floß, der Träger des großen Sonnengeistes Christus war, der sich durch dieses Mittel die Aufnahme in die Erde sicherte und seit diesem Augenblick ihr Herrscher geworden ist. Er breitete seinen eigenen Empfindungsleib über den Planeten aus und reinigte ihn dadurch von allen üblen Einflüssen, die unter der Herrschaft der Rassengeister erwachsen waren.

   Unter dem Gesetz sündigten alle. Nein, mehr noch, sie mußten sündigen. Sie waren nicht so weit fortgeschritten, daß sie um der Liebe willen das Rechte tun konnten. Die Begierdennatur war in ihnen so stark, daß es ihnen unmöglich war, sie ganz und gar zu beherrschen. Daher türmte sich unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung ihre Schuld in ungeheuerlichem Maße auf. Die Entwicklung wäre

  SEITE 408

außerordentlich verzögert worden, und viele wären überhaupt für unsere Lebenswoge verloren gewesen, hätten sie nicht Hilfe erhalten.

   Darum kam Christus, "um die zu suchen und zu retten, die verloren waren". Er tilgte die Sünden der Welt durch Sein reinigendes Blut, das ihm den Eintritt in die Erde und zu ihrer Menschheit gewährte; Er reinigte die Zustände. Wir verdanken es Ihm, daß wir fähig sind, für unseren Empfindungsleib reineren Empfindungsstoff als früher zu sammeln, und Er hilft uns noch weiterhin, indem Er unsere äußere Umgebung fortwährend reinigt.

   Daß dies auf Kosten großer Leiden für Ihn selbst geschah und geschieht, daran kann niemand zweifeln, der sich auch nur eine ungefähre Vorstellung von den Beschränkungen macht, denen dieser große Geist durch die beengenden Bedingungen der physischen Existenz selbst in dem besten und reinsten Träger ausgesetzt war. Auch seine gegenwärtige Beschränkung als Herrscher der Erde ist nicht weniger schmerzvoll. Es ist wahr, daß Er auch der Herrscher der Sonne und daher nur teilweise an die Erde gebunden ist, doch die Beschränkungen, die Ihm durch die verkrampfend langsamen Schwingungen unseres dichten Planeten auferlegt werden, müssen nahezu unerträglich sein.

   Wäre Christus Jesus eines natürlichen Todes gestorben, so hätte Er unmöglich sein Werk vollenden können, doch die Christen haben einen auferstandenen Erlöser. Einen, der immer gegenwärtig ist, jenen zu helfen, die Seinen Namen anrufen. Da Er selbst gleich uns gelitten hat und unsere Bedürfnisse kennt, ist Er gegen unsere Fehler und Verfehlungen nachsichtig, solange wir versuchen, ein gutes Leben zu leben. Wir müssen uns immer dessen bewußt sein, daß die einzige wirkliche Verfehlung im Aufgeben des Versuchens besteht.

   Nach dem Tod des dichten Körpers des Christus Jesus wurde das Keimatom dem ursprünglichen Besitzer, Jesus von Nazareth, zurückgegeben. Danach lehrte dieser noch einige Zeit in seinem Lebensleib - welchen er vorübergehend annahm - den Kern des von Christus hinterlassenen neuen Glaubens. Jesus von Nazareth hat seither die Führung

  SEITE 409

derjenigen esoterischen Zweige übernommen, die überall in Europa ihren Anfang nahmen.

   An vielen Orten waren die Ritter der Tafelrunde hohe Eingeweihte in den Mysterien des neuen Religionssystems. Desgleichen auch die Ritter des heiligen Grals, denen der Abendmahlskelch (der Gral), den Christus beim letzten Abendmahl verwendet hatte, von Josef von Arimathia anvertraut wurde. Sie erhielten später auch die Lanze, mit der seine Seite durchbohrt wurde, und das Gefäß, welches das Blut aus seiner Wunde auffing.

   Die Druiden von Irland und die Trotten vom nördlichen Rußland waren okkulte Schulen, durch die der Meister Jesus während des sogenannten "finsteren Zeitalters" arbeitete. Aber wenn es auch finster war, so verbreitete sich doch der geistige Impuls. Vom Standpunkt des okkulten Wissen- schaftlers war es ein "lichtes Zeitalter" im Vergleich mit dem wachsenden Materialismus der letzten 300 Jahre (1909), der die physischen Erkenntnisse unermeßlich vermehrte, doch das Licht des Geistes beinahe ausgelöscht hat.

   Sagen vom "heiligen Gral", von den "Rittern der Tafelrunde" usw., werden jetzt als Aberglauben verspottet, und alles, was nicht handgreiflich bewiesen werden kann, wird als unglaubwürdig abgelehnt. So glorreich die Entdeckungen der modernen Wissenschaft sind, so teuer sind sie erkauft worden. Die geistige Intuition wurde vernichtet, und vom geistigen Standpunkt aus betrachtet, hat kein dunklerer Tag als der gegenwärtige je gedämmert.

   Die Älteren Brüder, unter ihnen Jesus, haben gekämpft und kämpfen noch, um diesem schrecklichen Einfluß entgegenzuarbeiten. Dieser wirkt wie der Blick der Schlange, der den Vogel lähmt, bis er ihr zur Beute wird. Jeder Versuch, das Volk aufzuklären und in ihm ein Bedürfnis nach der Pflege der geistigen Seite des Lebens zu erwecken, ist ein Beweis für die Wirksamkeit der Älteren Brüder. Mögen ihre Bemü- hungen von Erfolg gekrönt sein und den Tag schneller herbeiführen, an dem die moderne Wissenschaft vergeistigt sein wird und ihre Forschungen in der Materie vom geistigen Standpunkt aus unternimmt. Dann und nicht eher als dann, wird sie zu einer wahren Erkenntnis der Welt gelangen.

  SEITE 410

  

Diagramm D: "Wie oben, so unten."

Die Welt, der Mensch und das Atom werden von demselben Gesetz beherrscht. Unsere feste Erde ist nun in ihrem vierten Zustand der Verdichtung. Der Intellekt (Verstand), der Empfindungsleib und der Lebensleib sind weniger fest als unser vierter Träger, der dichte Körper. Im Atomgewicht der chemischen Elemente besteht eine ähnliche Anordnung. Die vierte Gruppe bezeichnet den Gipfel der Dichtigkeit.

  SEITE 411

  

XVI. Zukünftige Entwicklung und Einweihung

Die sieben Schöpfungstage

   Der Rosenkreuzer spricht von der Erdperiode als der marsmerkurischen Periode. Der große Schöpfungstag ist auch in den sieben Namen der Wochentage verkörpert, denn sie sind nach den Evolutionsstadien benannt, in denen die jungfräulichen Geister ihre Pilgerschaft durch die Materie vollziehen.

  

Tag           entspricht der     wird beherrscht von
Samstag. . . .Saturnperiode. . . . . . . .Saturn
Sonntag. . . .Sonnenperiode  . . . . . . .Sonne
Montag . . . .Mondperiode. . . . . . . . .Mond
Dienstag . . .1. Hälfte d. Erdperiode. . .Mars
Mittwoch . . .2. Hälfte d. Erdperiode. . .Merkur
Donnerstag . .Jupiterperiode . . . . . . .Jupiter
Freitag. . . .Venusperiode . . . . . . . .Venus

   Die Vulkanperiode ist die letzte Periode unseres Evolutionsplanes. Die Quintessenz aller vorhergehenden Perioden ergibt sich durch die Wiederholung der Spiralen. Keine neue Arbeit beginnt, bevor nicht der letzte Kreislauf des allerletzten Globus in der siebten Epoche eingesetzt hat. Man kann daher sagen, daß die Vulkanperiode der Woche entspricht, die alle sieben Tage enthält.

   Die Behauptung der Astrologen, daß die Wochentage von dem betreffenden Planeten regiert werden, nach dem sie benannt sind, ist wohlbegründet. Auch die Weisen des Altertums waren über dieses okkulte Wissen wohl unterrichtet, wie sich in ihren Mythologien zeigt, in denen die Namen der Götter mit den Tagen der Woche in Verbindung gebracht sind. Der Samstag (engl. Saturday) ist einfach "Saturns Tag".

   Der Sonntag (engl. Sunday) steht mit der Sonne in Beziehung und Montag (engl. Monday) mit dem Mond. Der

  SEITE 412

Lateiner nennt den Dienstag "Dies Martis", was seine Verbindung mit Mars, dem Kriegsgott, deutlich offenbart. Der Name "Dienstag" (engl. Tuesday) ist von "Tirstag", "Tir" oder "Tyr", dem Namen des altnordischen Kriegsgottes abgeleitet. Der "Mittwoch" (engl. Wednesday) war der "Wotanstag", nach dem altnordischen Gott Wotan benannt. Er heißt bei den lateinischen Völkerschaften "Dies Mercurii" (franz. Mercredi), der Merkurtag, was auf seine Verbindung mit dem Merkur hinweist.

   "Donnerstag" (eng. Thursday) oder "Thorstag" ist nach Donar oder Thor, dem altnordischen Donnergott benannt und heißt bei den Lateinern "Dies Jovis", gleich dem Donnergott "Jove", oder (Tag des) "Jupiter". Dem Freitag (engl. Friday) liegt der Name der altnordischen Göttin der Schönheit, "Freya" zugrunde, und aus gleichen Gründen nennt der Lateiner ihn "Dies Veneris", oder Tag der Venus.

   Diese Namen der Perioden haben mit den physischen Planeten nichts zu tun. Sie beziehen sich auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Inkarnationen der Erde. Um nochmals den hermetischen Grundsatz "Wie oben, so unten" anzuwenden, so muß der Makrokosmos ebenso seine Inkarnationen durchlaufen wie andererseits der Mikrokosmos Mensch. Die okkulte Wissenschaft lehrt, daß es 777 Inkarnationen gibt. Das bedeutet aber nicht, daß die Erde 777 Metamorphosen durchzumachen hat. Es bedeutet, daß das sich entwickelnde Leben

  

    7 Weltkreisläufe um die
    7 Globen der
    7 Weltperioden durchschreitet.

   Diese Pilgerschaft durch Involution und Evolution wird in dem Caduceus oder "Merkurstab" verkörpert (siehe Diagramm 15), so genannt, weil dieses okkulte Sinnbild den Weg der Einweihung symbolisiert, der dem Menschen erst seit Beginn der Merkurhälfte der Erdperiode eröffnet wurde. Einige der kleineren Mysterien wurden den früheren Lemuriern und Atlantiern gegeben, nicht jedoch die vier großen Einweihungen.


[ Seite 413 - 441 ]